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Lehrerinterventionen im selbständigkeitsorientierten Prozess der Lösung einer mathematischen Modellierungsaufgabe
Dominik Leiß (2007): Lehrerinterventionen im selbständigkeitsorientierten Prozess der Lösung einer mathematischen Modellierungsaufgabe. Dissertation, Universität Kassel.
Begutachtet durch Werner Blum, Gabriele Kaiser und Reinhard Hochmuth
Tag der mündlichen Prüfung: 13.07.2007.
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, wie Lehrpersonen ihre Schüler bei der selbstständigkeitsorientierten Bearbeitung von realitätsbezogenen Mathematikaufgaben adäquat unterstützen können. Damit wird ein Themengebiet aufgegriffen, das nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Reformbemühungen des Mathematikunterrichts, wie z.B. dem SINUS-Modellversuch (vgl. Blum 2000), von wachsender Bedeutung ist, das bisher allerdings nur selten Gegenstand mathematikdidaktischer Forschungsaktivitäten war, auch auf internationaler Ebene. Der daraus resultierende Mangel an diesbezüglichen theoretischen und empirischen Erkenntnissen (vgl. Leiß/Wiegand 2005) begründete die Wahl, sich dieser Thematik zunächst durch eine explorativ orientierte Fallstudie zu nähern. Im Zentrum der Untersuchung standen die drei folgenden Fragen:
- Wie lassen sich wesentliche Aspekte von Lehrerinterventionen in kooperativen Modellierungsprozessen charakterisieren?
- Wie intervenieren erfahrene SINUS-Lehrpersonen, wenn Schüler Modellierungsaufgaben selbständigkeitsorientiert bearbeiten sollen?
- Lassen sich verallgemeinerbare strukturelle Charakteristika im Interventionsverhalten der Lehrpersonen ausmachen, die für adaptive Lehrerinterventionen in mathematischen Modellierungsprozessen von genereller Bedeutung sein könnten?
Zur Beantwortung dieser Fragen wurde im Rahmen des DISUM-Projekts1 ein Untersuchungsdesign aus fünf Laborsitzungen gewählt, innerhalb derer jeweils eine SINUS-Lehrperson dabei videographiert wurde, wie sie zwei SINUS-Schüler bei der Bearbeitung einer Modellierungsaufgabe gemäß dem Motto Maria Montessoris „Hilf mir es selbst zu tun“ unterstützt (vgl. Leiß 2005). Die dabei von den Schülern zu bearbeitende Aufgabe „Tanken“ war so gewählt, dass sie aufgrund ihrer Offenheit und ihres Schwierigkeitsgrades zum einen diskursive ko-konstruktive Bearbeitungsprozesse auf Seiten der Schüler anregt, zum anderen aber – selbst von leistungsstarken Gymnasialschülern - nur schwer alleine erfolgreich gelöst werden kann und somit mit hoher Wahrscheinlichkeit im Bearbeitungsprozess Lehrerinterventionen provoziert. Im Anschluss an die Bearbeitung der Aufgabe wurden ebenfalls videographierte stimulated recall Interviews durchgeführt, bei denen – angeregt durch das Video der Aufgabenbearbeitungsphase – Lehrer und Schüler getrennt voneinander zu ihrem zuvor gezeigten Verhalten und den dabei stattgefundenen Denkprozessen befragt wurden.
Die in diesen beiden Phasen erhobenen Videodaten wurden mithilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) ausgewertet. Im Mittelpunkt der Datenanalyse stand dabei ein Kodierschema, das in einem sich gegenseitig beeinflussenden Vorgehen aus induktiven und deduktiven Verfahrensweisen entwickelt und zur Beschreibung der Lehrerinterventionen reliabel eingesetzt wurde (Intercodiererreliabilität κ = 0.85).
Bei der Interpretation der entsprechend aufbereiteten Daten wurden die Laborsitzungen zuerst einzeln bezüglich der folgenden Aspekte analysiert: 1) Schülerlösungsprozess, 2) formale Charakteristika der Lehrerinterventionen, 3) Auslöser der Interventionen, 4) Ebene der Interventionen, 5) Absichten der Interventionen. Ziel war dabei zunächst die Entdeckung struktureller Charakteristika im lösungsprozessbegleitendem Handeln der einzelnen Lehrpersonen. Darauf aufbauend wurden vergleichende Fallanalysen durchgeführt, welche in verallgemeinerbare Hypothesen über das Interventionsverhalten von (SINUS-)Lehrkräften mündeten. Dabei konnten einige bereits im Vorfeld zu vermutende Hypothesen aufgestellt werden, wie z.B. dass die Lehrkräfte bei konkreten inhaltlichen Schwierigkeiten dazu neigen, auf derselben inhaltlichen Ebene zu intervenieren, und so gut wie keine strategischen Interventionen als Unterstützung geben. Andererseits führten die Analysen auch zu überraschenden Hypothesen, wie z.B. dass sich die intendierte Selbstständigkeit der Schüler für die Lehrer nur auf die inhaltliche und nicht auch auf die organisatorische Prozessebene bezieht oder dass die Lehrgewohnheit bzw. der eigene Anspruch der Lehrperson und weniger Probleme im Lösungsprozess zu einem Eingriff führen. Wurden diese Hypothesen weitestgehend aus Gemeinsamkeiten aller Laborsitzungen gewonnen, so zeigten sich auch Unterschiede im Lehrerhandeln. Hierbei sind insbesondere Differenzen bezüglich der verbalen und der physischen Präsenz, dem Umgang mit auftretenden Schwierigkeiten sowie im Umfang des eingesetzten Interventionsrepertoires zu nennen.
Kontext
Literatur
Werner Blum [2000]: Was wollen wir, was haben wir bisher erreicht? In: Pro Schule (3), 6-9.
Dominik Leiß [2005]: Teacher intervention vs. self-regulated learning? In: Teaching Mathematics and its Applications, 24 (2-3), 75-89.
Dominik Leiß & Bernd Wiegand [2005]: A classification of teacher interventions in mathematics teaching. In: Zentralblatt für Didaktik der Mathematik, 37 (3), 240-245.
Philipp Mayring [2003]: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim: Beltz.
Rudolf Messner & Werner Blum [2006]: Selbständiges Lernen im Fachunterricht - 7 Projekte zur empirischen Unterrichtsforschung. In: Mammes, I. et al. (Hg.): Schulpädagogische Forschung - Unterrichtsforschung - Perspektiven Innovativer Ansätze, Insbruck: StudienVerlag, 107-123.