Die Reform der Lehrpläne für den Mathematikunterricht der Sekundarstufe I in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland
Peter Damerov (1977): Die Reform der Lehrpläne für den Mathematikunterricht der Sekundarstufe I in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Dissertation, Universität Bielefeld.
Begutachtet durch H. Bauersfeld, A. Dress und K. P. Grotemeyer
Zusammenfassung
Fragestellung und Ergebnis: Die Untersuchung ist eine Fallstudie zu der Frage, ob Lehrpläne ein wirksames bildungspolitisches Steuerungsinstrument für CurriculumRevisionen sind. Die Fragestellung wird an der Reform des Mathematikunterrichts der Sekundarstufe I in der Bundesrepublik Deutschland untersucht. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß unter den in der Bundesrepublik Deutschland gegebenen Bedingungen Lehrpläne weitgehend ungeeignet sind, als bildungspolitisches Steuerungsinstrument für Curriculum-Revisionen dienen. Erstens verhindern die Rahmenbedingungen der Lehrplanreform die Ausbildung einer den Reformzielen angemes senen Programmmatik in den Lehrplänen. Zweitens führt die Abhängigkeit von der Curriculumentwicklung zu einem Funktionswandel der Lehrpläne im Reformprozess und dadurch bedingt zu einem Verlust der semantischen Eindeutigkeit von Lehrplanformulierungen. Untersuchungsmethode: Das methodische Problem der Untersuchung lag in der Anwendung des teleologischen Begriffsschemas ZIEL-MITTEL, aus dem sich die theoretischen Grundbegriffe einer Untersuchung von Lehrplänen darauf hin, ob sie als Mittel für die Realisiserung von Reformzielen taugen, herleiten, auf die Curriculum-Reform als einen gesellschaftlichen Prozeß. Zwar ist die Anwendung dieses Schemas auf die Wirkungsweise einzelner gesellschaftlicher Instanzen, soweit diese mit Zielgebungskompetenzen ausgestattet sind, unproblematisch, die Gesellschaft insgesamt jedoch kann nicht als zeilesetzendes Kollektivsubjekt begriffen werden. Daher kann das teleologische Begriffsschema nicht unmittelbar auf gesellschaftliche Prozesse angewendet werden. Im juristischen Sinne beispielsweise stellen Lehrpläne selbst Zieldefinitionen dar, könnten also mit teleologischen Begriffen allenfalls auf innere Stimmigkeit untersucht werden. Wegen dieses methodischen Problems wurde die Untersuchung folgendermaßen durchgeführt: Zunächst wurde der Prozeß der Reform des Mathematikunterrichts mit Hilfe des kausalen Begriffsschemas URSACHE WIRKUNG analysiert. Diese Untersuchung ermöglichte es die zielsetzenden Instanzen zu ermitteln, die den Prozeß der Curriculum-Reform inhaltlich bestimmten oder beeinflußten. Die Reformintentionen dieser Instanzen wurden als die "Ziele" des Reformprozesses begriffen ; sie lieferten die Kriterien für die Beurteilung der Lehrpläne als "Mittel" der Reform. Die Untersuchung ist also nicht eine Beurteilung der Lehrpläne aufgrund normativ vorgegebener Untersuchungskriterien, sondern ein Beitrag zur Rekonstruktion der inneren teleologischen Rationalität des Reformprozesses. Untersuchungsschritte: Dem genannten methodischen Vorgehen entsprechend gliedert sich die Untersuchung in die folgenden Teiluntersuchungen: I. Konstruktion eines Modells für den Verlauf von Reformen im Bildungssystem unter den allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen westlicher Industrienationen. 2. Anwendung des Modells auf den Prozeß der Reform des Mathematikunterrichts; Ermittlung der Ursachen und der zieldefinierenden Instanzen; Ermittlung der allgemeinen Ziele der Reform. 3. Darstellung des historischen Verlaufs der Reform in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage seiner theoretischen Rekonstruktion; Ermittlung der für die Bundesrepublik Deutschland spezifischen Reformbedingungen. 4. Rekonstruktion der Reformziele mit Hilfe der in der Analyse des Reformprozesses gewonnenen Kriterien der Authentizität von Zieldefinitionen einzelner Funktionsträger und Instanzen. 5. Dokumentation der Lehrpläne und der Lehrplanentwürfe. 6. Interpretation der Lehrpläne und Lehrplanentwürfe im Kontext der Reformentwicklung; Rekonstruktion des Verlaufs der Lehrplanreform; Erklärung der Charakteristika der Lehrpläne aus ihrer Funktion im Prozeß der Reformentwicklung.