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Operatives Prinzip
Das operative Prinzip zählt – wie beispielsweise das Spiralprinzip oder das genetische Prinzip – zu den klassischen didaktischen Prinzipien in der Mathematikdidaktik (vgl. Reiss, Hammer). Dieses Prinzip folgt aus den wesentlichen Aspekten der Theorien von Jean Piaget und Hans Aebli. Es betont insbesondere das Lernen durch eigenes Handeln und dessen Verinnerlichung. Die Systematik einer mathematischen Aufgabenstellung wird in den Vordergrund gestellt, um Bezüge zwischen mathematischen Sachverhalten herzustellen. Damit ist eine spezifische Form des systematischen und produktiven Übens verbunden.
Theoretische Herleitung
Nach der genetischen Erkenntnistheorie von Jean Piaget entwickelt sich die menschliche Intelligenz in Interaktion zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. In dieser Wechselwirkung entwickelt der Mensch stadienweise ‚kognitive Schemata‘ – Systeme, in denen Erfahrungen organisiert, Denkstrukturen entwickelt und erweitert werden (vgl. Abshagen et al.). Im Kindesalter liegen Handlungen an konkreten Objekten vor, die später zu verinnerlichten Handlungen abstrahiert werden. Sein Schüler Hans Aebli betont die Erziehungsbedingungen und überführt die erkenntnistheoretischen Aspekte in den schulischen Kontext. Dazu führt er Stufen des Verinnerlichungsprozesses einer Operation ein, die nacheinander zu durchlaufen sind: In der ersten Stufe findet das konkrete, aktive Handeln mit den gegebenen Objekten bzw. Gegenständen statt (vgl. Abshagen et al.). Anschließend wird die figurale Ebene hinzugezogen. Diese beinhaltet eine Arbeit und kognitive Auseinandersetzung mit Zeichnungen und bildlichen Darstellungen des Objektes. Die dritte Stufe findet auf symbolischer Ebene – repräsentiert durch Zeichen und Ziffern – statt. Um einen erfolgreichen Verinnerlichungsprozess zu gewährleisten, genügt es hierbei nicht, lediglich die Stufen zu durchlaufen. Zum einen sollte stattdessen stets ein regelmäßiger Wechsel der Darstellungsebenen erfolgen. Des Weiteren müssen abwechslungsreiche Übungsphasen, in denen Lösungswege oder Ausgangsgrößen variiert und Umkehraufgaben gestellt werden, aber auch Phasen der Reflexion und der Verbalisierung der eigenen Handlungen stattfinden (vgl. Abshagen et al.).
Eine weitere Modifikation aus der Ausgangstheorie von Piaget folgte durch Jérôme Bruner. Seinem Verständnis nach stehen die Darstellungsebenen in wechselseitiger Beziehung zueinander und sind somit nicht zeitlich nacheinander zu durchlaufen (vgl. Abshagen et al.). Demnach zeichnet sich die Denkentwicklung durch ein stetiges Wechselspiel dieser Ebenen aus, sodass das Handeln auf allen Ebenen geschult werden sollte und die jeweiligen Betrachtungsweisen dabei übereinstimmen und sich optimalerweise ergänzen. Trotz der nicht festgelegten Chronologie der Ebenen sollte das Entwicklungsalter der Lernenden dennoch berücksichtigt werden (vgl. Reiss, Hammer). Während sich beispielsweise Kinder im Regelfall weniger auf der abstrakten Ebene bewegen, kann dies bei älteren Jugendlichen ohne Weiteres eingefordert werden. Nichtsdestotrotz können und sollen diese auch auf den anderen beiden Ebenen arbeiten.
Die sieben didaktischen Regeln nach Aebli
1. Konkrete Problemsituationen als Ausgangspunkt:
- Denkprozesse mit Handlungsabsichten sollen durch materielle und geistige Bedürfnissituationen angeregt werden.
2. Doppelte Verankerung des Denkens und Lernens:
- I. Wahrnehmen der Handlungssituationen durch praktische Auseinandersetzung
- II. Vorstellen der Handlungssituation
- Der Verinnerlichungsprozess von I. nach II. wird ‘’Interiorisation’’ genannt.
3. Prozess der Interiorisation:
- Der Verinnerlichungsprozess (Wahrnehmen → Vorstellen) erfordert auch eine sprachliche Decodierung des Handlungs- bzw. Unterrichtsgegenstandes. Das operative Prinzip besagt, dass eine Abstraktion eines Begriffs erfolgen muss, um den Handlungsbegriff verstehen zu können.
- Ein Beispiel: Eine Schülerin/ein Schüler zeichnet mit vorgegebenem Radius einen Kreis. Der Begriff Radius ist verstanden, aber es ist nicht zu schlussfolgern, dass auch das Verständnis der Zahl π vorliegt.
4. Von konkreten Handlungen zu abstrakten Operationen:
- Begriffliche Elemente sollen im Zusammenhang mit konkreten Handlungen erarbeitet und Operationen anhand der Handlungen geklärt werden. Der Aufarbeitungsprozess wird nach Piaget ‘’Konstruktion’’ genannt.
5. Rekonstruktion
- Abstrahierte und verinnerlichte Operationen sind mit begrifflichen Mitteln von den Schülern zu rekonstruieren. Dıe Beweglichkeit von Operationen kann ermöglicht werden, indem im Unterricht diese in variierten Handlungen durchgearbeitet werden.
6. Die Beweglichkeit von Operationen/Begriffen durch das Durcharbeiten:
- Piaget erklärte schon, dass durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt sich Systeme von Handlungen bilden. Piaget redet von gruppierten Systemen. Im Zuge dessen soll der Unterricht die Entwicklung von Operations- und Begriffssystemen fördern. (Wittmann führt weitere Konkretisierungen aus mathematikdidaktischer Sicht aus.)
7. Im Unterricht Systeme von Operationen und Begriffen bilden:
- Die Beweglichkeit, von der schon Piaget gesprochen hat, bezieht sich auf das gebildete Wissensnetz. Im Mathematikunterricht sollen demnach die Schülerinnen und Schüler Operationen und Begriffe vernetzt lernen und Systeme bilden. Der Unterricht soll zielführend das Durcharbeiten von mathematischen Operationen – unter verschiedenen Gesichtspunkten und Variationen - anbieten.
Wittmann konkretisiert das operative Prinzip von Aebli, indem er die Beschränkung auf die Operationen nicht als ausreichend sieht. Er weitet das operative Prinzip von den dynamischen Operationen auf die statischen Objeke aus. Aus mathematikdidaktischer Sicht betont er die Wichtigkeit der Objekte, auf die die Operationen angewandt werden, und das Handeln mit ihnen. „Objekte erfassen bedeutet, zu erforschen, wie sie konstruiert sind und wie sie sich verhalten, wenn auf sie Operationen (Transformationen, Handlungen, ...) ausgeübt werden. Daher muss man im Lern- und Erkenntnisprozess in systematischer Weise:
- 1. untersuchen, welche Operationen ausführbar und wie sie miteinander verknüpft sind,
- 2. herausfinden, welche Eigenschaften und Beziehungen den Objekten durch Konstruktion aufgeprägt werden,
- 3. beobachten, welche Wirkungen Operationen auf Eigenschaften und Beziehungen der Objekte haben (was geschieht mit ..., wenn ...?)" (Wittmann, S. 9)
Anwendungsbeispiele zum operativen Durcharbeiten
Primarstufe
- Stecke Würfel zu einer Dreier- und Fünferstange zusammen. Stecke die Stangen anschließend hintereinander zusammen. Wie viele Würfel zählst du?
- Fertige davon eine Zeichnung an, auf der du die Stangen als Streifen aus Quadraten darstellst.
- Ein Zeichen für das Zusammenfügen von Mengen ist das ,,+“. Notiere das Ergebnis der Aufgabe: 3 + 5 = ?
Diese Aufgabe ermöglicht es Grundschulkindern, sich zunächst haptisch mit den Steckwürfeln auseinanderzusetzen und das Objekt, die Addition, kennenzulernen. Anschließend agieren die Kinder auf der figuralen und dann auf der symbolischen Stufe, indem sie die Gegenstände bildlich und dann mit Ziffern darstellen. Dabei erhalten die Darstellungen in der figuralen und in der symbolischen Form ihre Bedeutung durch Rückbezug auf die enaktive Form. Im Sinne des operativen Prinzips ist für das Verstehen des Objekts Addition ebenfalls wesentlich, dass untersucht wird, wie sich Veränderungen des Objekts, hier also konkret Veränderungen der Summanden, auswirken. So wird beim operativen Durcharbeiten z. B. die Konstanz der Summe bei wechselsinniger Veränderung der Summanden erarbeitet. Durch diese Art der Modifikation können die Denkentwicklung und der Verinnerlichungsprozess der Lernenden weiter angeregt werden.
Sekundarstufe I
- Wie kann man eine Pizza gleichmäßig auf sechs Freunde aufteilen?
- Teile die Pizza in sechs gleich große Stücke, indem du eine Skizze anfertigst.
- Wie viele Pizzen benötigst du für dich und deine fünf Freunde, wenn jeder eine halbe Pizza essen möchte?
- Als Nachtisch erhaltet ihr zwei Äpfel. Teilt diese mit einem Messer gleichmäßig unter euch auf.
- Wie ändert sich die Größe der Apfelstücke, wenn zwei deiner Freunde auf den Nachtisch verzichten – welchen Anteil erhält dann jeder von euch?
- Einer der beiden Äpfel ist verschwunden. Wie viele von euch sechs Freunden müssten auf den Nachtisch verzichten, damit die verteilten Apfelstücke immer noch so groß sind wie ursprünglich?
Zu Aufgabe 1: Mit dieser Aufgabe wird der Zugang zu Bruchzahlen handlungsorientiert ermöglicht. Die Schülerinnen und Schüler übertragen ihre Alltagserfahrung und rufen mental das Bild einer Pizza hervor. Im nächsten Schritt führen sie das Aufteilen einer Pizza als verinnerlichte Handlung durch. Sie handeln an einem konkreten Objekt.
Zu Aufgabe 2: Durch das konkrete Handeln in Aufgabe 1 kann der Zugang zur zeichnerischen Darstellung und somit ein Wechsel auf der Darstellungsebene ermöglicht werden. Sie übertragen eine reale Form in die mathematische Welt, indem sie die Pizza als Kreis zeichnen und Unterteilungen durchführen.
Zu Aufgabe 3: Der Lösungsweg wird bei dieser Aufgabe bewusst offengehalten. Die Lösung kann in der Vorstellung, aber auch auf zeichnerischem Weg erzeugt werden.
Zu Aufgabe 4: Hier findet eine Förderung durch die Modifikation der ursprünglichen Situation und der anschließenden Analyse der daraus entstandenen Auswirkungen statt. Außerdem wurde das Veranschaulichungsmittel ausgetauscht. In weiteren Aufgaben könnte zudem ein neuer Kontext aufgerufen werden.
Literaturverzeichnis
Abshagen, M., Barzel, B., Krämer, J., Riecke-Baulecke, T., Rösken-Winter, B. & Selter, C. (2017). Basiswissen Lehrerbildung. Mathematik unterrichten. Friedrich Verlag: Seelze.
Aebli, H. (1983). Zwölf Grundformen des Lehrens. Klett-Cotta: Stuttgart.
Reiss, K., Hammer, C. (2013). Grundlagen der Mathematik. Eine Einführung für den Unterricht in der Sekundarstufe. Springer: Basel.
Wittmann, E. (1975). Grundfragen des Mathematikunterrichts. Friedrich Vieweg und Sohn Verlagsgesellschaft mbH: Braunschweig.
Zech, F. (2002). Grundkurs Mathematikdidaktik. Theoretische und praktische Anleitungen für das Lehren und Lernen von Mathematik. Beltz: Weinheim/Basel.