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Mathematische Vorstellungen bilden – Praxis und Theorie von Vorstellungsübungen im Mathematikunterricht der Sekundarstufe II: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 21. April 2016, 10:43 Uhr



Christof Weber (2006): Mathematische Vorstellungen bilden – Praxis und Theorie von Vorstellungsübungen im Mathematikunterricht der Sekundarstufe II. Dissertation, Universität Zürich.
Betreut durch Urs Ruf und Lisa Hefendehl-Hebeker.
Erhältlich unter http://www.zora.uzh.ch/111439/8/Weber_2007_MVueBuch_ZORA.pdf
Tag der mündlichen Prüfung: 27.10.2006.

Zusammenfassung

Wie sieht ein gymnasialer Mathematikunterricht aus, der die Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern ernst nimmt? Wie können Vorstellungen zu einem einfallsreichen Unterricht beitragen und gleichzeitig verständiges Lernen fördern?

Die entsprechende didaktische Innovation sind mathematische Vorstellungsübungen. Dieses Unterrichtsinstrument wurde vom Autor im eigenen Unterricht eines Gymnasiums (10. bis 12. Jahrgangsstufe) entwickelt und viele Jahre lang eingesetzt. In der vorliegenden Dissertation wird es im Sinne der Aktionsforschung (Altrichter & Posch) reflektiert. Indem sich diese Reflexion auf die Aktion der Vorstellungsübungen bezieht, wird das ursprünglich implizite Konzept, das dem Unterrichtsinstrument zugrunde lag, fundiert und verstanden. Gleichzeitig wird das Wissen darüber kommuniziert.

Entsprechend beginnt die Arbeit mit dem praktischen Teil. In ihm werden der Ablauf von und die Arbeit mit Vorstellungsübungen im Mathematikunterricht kurz dargestellt. Anschließend werden aus einem Bestand von über sechzig Vorstellungsübungen exemplarisch acht Übungstexte zitiert. Die derart beschriebene Aktion stellt den eigentlichen Untersuchungsgegenstand der Dissertation dar.

Darauf folgt der theoretische Teil der Arbeit, die Reflexion des Unterrichtsinstruments. Dieser ausführliche Teil umfasst drei Abschnitte:

  • Beobachtung und Informationssammlung: Den eigenen, positiven Erfahrungen mit Vorstellungsübungen wird das Ergebnis einer Schülerbefragung (99 Personen / Fragebogen) gegenübergestellt. Diese Befragung wird mit geeignet modifizierten Kategorien der Akzeptanzforschung strukturiert und deskriptiv ausgewertet. Sie ergibt, dass sich Vorstellungsübungen einer hohen Einstellungsakzeptanz bei hohem Konsens erfreuten, wobei die Mädchen – im Gegensatz zu vielen empirischen Studien zur Einschätzung des Mathematikunterrichts – tendenziell positiver votierten als die Jungen. Die Wirkungs- und die Durchführungsakzeptanz von Vorstellungsübungen fällt weniger hoch aus und zeigt auch weniger eindeutige geschlechtstypische Unterschiede.
  • Theorieformulierung und Analyse: Dieser Abschnitt bildet den Schwerpunkt der Arbeit. In ihm wird zunächst ein tragfähiges Begriffsverständnis von Vorstellung und Vorstellen entwickelt. Dazu werden mathematikdidaktische Theorien aufgearbeitet, die kognitive Leistungen mit gedanklichem Handeln in Verbindung bringen (operatives Prinzip bei Wittmann, bewegliches Denken in der Meraner Reform), wie auch Theorien, die Vorstellungsinhalte als wesentliche Determinanten des Lernens fokussieren (Grundvorstellungen bei vom Hofe, Dialogische Didaktik bei Gallin & Ruf, lebensweltliche Vorstellungen bei Lengnink). Von hier aus ergibt sich mit Blick auf das zu reflektierende Unterrichtsinstrument eine zweifache Bestimmung des Vorstellungsbegriffs: der denkpsychologische Vorstellungsbegriff bezieht sich auf die aktiven und konstruktiven gedanklichen Prozesse, in denen der Aufbau von Vorstellungsbildern und Vorstellungshandlungen in ein Wechselspiel treten; der lernpsychologische Vorstellungsbegriff erfasst die inhaltlichen Aspekte von Vorstellungsbildern und -handlungen, die als Mittler zwischen realen Vorgängen und mathematischen Inhalten eine Schlüsselrolle beim Lernen einnehmen.
    Auf dieser begrifflichen Grundlage wird das Unterrichtsinstrument beschrieben und sein inhärentes didaktisches Potential, aber auch seine Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler herausgearbeitet. Dazu werden die acht Übungstexte hinsichtlich der beteiligten Vorstellungsbilder und -handlungen analysiert. Es ergibt sich, dass singuläre Vorstellungen für die Beantwortung mathematischer Fragen nicht nur hinderlich, sondern auch produktiv sein können – durch ihren Einbezug wird der Unterricht für heuristische Prozesse wie das Vergegenwärtigen, das Erkunden und das Experimentieren geöffnet. Darüber hinaus kann der regelmäßige Einsatz von Vorstellungsübungen – wie schon der doppeldeutige Titel „Mathematische Vorstellungen bilden“ besagt – fachliche und überfachliche Effekte nach sich ziehen. Indem Konstruktionsprozesse zum Aufbau von und zum Operieren mit Vorstellungen sowie die Kommunikation darüber angeregt werden, folgt das Unterrichtsinstrument modernen mathematikdidaktischen Leitlinien.
  • Aktionsvorschläge: Im letzten Abschnitt des Reflexionsteils werden Grenzen des Unterrichtsinstruments beschrieben sowie Modifizierungen zu deren Ausweitung vorgeschlagen. Ebenfalls wird die zusätzliche Verschriftlichung der Vorstellungsprozesse als chancenreiche Ausbaumöglichkeit diskutiert, weil dies zu einer intensiveren Nutzung von Vorstellungsübungen führen dürfte.

Damit schließt sich der Forschungskreislauf der Aktionsforschung. Das ausgebaute Unterrichtsinstrument kann nicht nur im Unterricht eingesetzt, sondern auch weiteren, im Schlussteil der Arbeit angedachten Forschungsperspektiven ausgesetzt werden.