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Geschlechtersensibler Mathematikunterricht zum Umgang mit Heterogenität in der Sekundarstufe I (Promotionsprojekt): Unterschied zwischen den Versionen

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===Ausgangslage===
Der grundlegende Gedankengang meiner Arbeit kann folgendermaßen skizziert werden:
Es gibt unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse von Mädchen und Jungen im Mathematikunterricht, die in der Unterrichtsgestaltung Berücksichtigung finden könnten, was positive Auswirkungen haben könnte auf das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept und darüber auf die Mathematikleistungen von Jungen und Mädchen.


Dieser Gedankengang wird rückwärts und differenzierter betrachtet:
Unter den vielen unterrichtsrelevanten Heterogenitätsaspekten fokussiere ich in meinem Promotionsprojekt das soziale Geschlecht.
Mädchen erbringen ab der Sekundarstufe weniger gute Mathematikleistungen als Jungen. (Prenzel et al. 2006, Baumert et al. 2000)
Nicht zuletzt die großen Vergleichsstudien weisen auf signifikante Leistungsunterschiede zugunsten der Jungen hin (vgl. Prenzel et al. 2013). Nun könnte der Eindruck entstehen, dass ausschließlich die Mädchen besonderer Beachtung bedürfen wenn es um Lernerfolg mit all seinen Einflussfaktoren geht. Aber auch Jungen bedürfen der Aufmerksamkeit, denn - um einen Nachteil der Jungen anzuführen - sie erhalten bei gleicher Leistung wie die Mädchen weniger gute Noten, begründet wird dies mit dem Sozialverhalten der Jungen (Budde 2008).


Voraussetzung für eine gute Leistungsfähigkeit ist ein positives Fähigkeitsselbstkonzept. (Helmke, Weinert 1997; Artelt et al. 2001, Schilling, Sparfeldt, Rost 2006). Ein neueres Modell reziproker Effekte stellt heraus, dass gute Leistungen günstig auf das Fähigkeitsselbstkonzept wirken können, so wie ein günstiges Fähigkeitsselbstkonzept positiv auf die Leistungsfähigkeit wirken kann. (Marsh, O’Mara 2009)
Obwohl Mädchen und Jungen die gleichen intellektuellen Fähigkeiten besitzen, differieren die Mathematikleistungen ab der Sekundarstufe deutlich (Budde, 2009). Die Verteilung der Lernenden auf die verschiedenen Kompetenzstufen in der PISA-Erhebung von 2012 zeigt, dass in Deutschland Jungen signifikant bessere Leistungen erbringen als Mädchen. Auf den unteren Kompetenzstufen sind Mädchen stärker vertreten als Jungen, ab Kompetenzstufe IV bis VI finden sich mehr Jungen (Prenzel u. a., 2013).


Um die Lage der Bedürfnisse und Wünsche der Lernenden zu beschreiben beziehe ich mich im Wesentlichen auf die Dissertation "Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen" von Sylvia Jahnke-Klein (2001).   
Es gibt Hinweise darauf, dass Mädchen und Jungen in der Sekundarstufe I unterschiedlich Mathematik lernen. Zudem äußern Mädchen und Jungen unterschiedliche Wünsche an ihren Mathematikunterricht, um erfolgreicher lernen zu können.   
„Die Mehrheit der befragten Mädchen und ein Teil der Jungen wünschten sich ein gründliches Vorgehen im Unterricht ohne jeden Zeitdruck.“ Es werden sehr ausführliche Erklärungen und unendliches Nachfragendürfen gewünscht. Dies wird gestützt von der Aussage "viele der befragten Mädchen und einiger Jungen“, die sich sogenannte Haltegriffe im Unterricht wünschen. Gemeint sind Materialien zum zusätzlichen Üben auch zuhause, viele Kontrollmöglichkeiten und Schemata, Merksätze, Regeln. Gegenseitiges Erklären wird ebenfalls als Haltegriff verstanden und nachdrücklich gewünscht. Die Mädchen begründen ihre Wünsche mit ihrem Bedürfnis nach Sicherheit. Sie wollen „wirklich“ bzw. „richtig“ verstehen, keine Fehler machen und keine Überraschungen erleben.
Beispielsweise sind Jungen beim Lösen von Aufgaben tendenziell risikofreudiger und langweilen sich schneller; sie wünschen sich Herausforderung und Abwechslung. Mädchen hingegen scheinen sicherheitsbedürftiger beim Erlernen neuer Inhalte und wünschen sich mehr Zeit zum Bearbeiten von Aufgaben. Mehr Mädchen als Jungen wünschen sich zusätzliches Übungsmaterial, mehr Lösungskontrollen und Schemata, Merksätze und Regeln (Jahnke-Klein, 2001). Mädchen und Jungen wünschen sich gleichermaßen kooperative Lernformen (Benoelken, 2016).
Dagegen stehen die Wünsche der Jungen. „Eine Teilgruppe der befragten Jungen“ wünschte sich weniger Monotonie und mehr Abwechslung u.a. durch weniger ausführliche Erklärungen, ein schnelleres Unterrichtstempo und anspruchsvollere Aufgaben. Die Jungen begründen ihren Wunsch mit Langeweile. Sie gaben an, sich zu langweilen, wenn sie glaubten, den Unterrichtsstoff verstanden zu haben und auch, wenn sie den Stoff nicht verstanden hatten. Dann würden sie gern zum nächsten Thema wechseln wollen, weil dort die Chance bestünde, wieder zu verstehen. Hinter allem steckt der Wunsch nach Herausforderung.
Beim Problemlösen scheinen Jungen erfolgreicher, wenn begriffliches oder numerisches Denken erforderlich ist. Mädchen scheinen besser, wenn verbales Denken erforderlich ist und entwickeln kreatives Denken ebenfalls besser bezogen auf verbales Material (Kasten, 2010).  
Jungen wirken durch ihre starke, nicht immer fachbezogene Unterrichtsbeteiligung kompetenter auf Lehrkräfte (Budde, 2008). Sie zeigen sich generell interessierter, motivierter und haben ein positiveres Selbstbild als Mädchen. (Budde, 2009; Prenzel u.a., 2006).


Das Bindeglied zwischen Wünschen und Bedürfnissen von Mädchen und Jungen und einem positiven Fähigkeitsselbstkonzept ist der Mathematikunterricht. Das Makro-Modell der Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen von Helmke und Schrader (2010) zeigt auf, dass "Prozessmerkmale des Unterrichts" auf die "Persönlichkeit des Kindes: ... konstitutionelle Merkmale" wirken.
Diese Befunde wurden in koedukativen Settings erhoben. Interessant wäre es zu sehen, wie sich das Mathematiklernen in getrenntgeschlechtlichen Gruppen darstellt.
Zeigen sich dort Unterschiede?


===Forschungsfragen===
Für die Untersuchung in getrenntgeschlechtlichen Gruppen konnte ich vier Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt gewinnen, die ihren Mathematikunterricht in der siebten Jahrgangsstufe für ein Schuljahr monoedukativ organisierten. Circa 180 Schülerinnen und Schüler und neun Lehrkräfte waren involviert, die Lehrkräfte unterrichteten ein Halbjahr die Mädchen und ein Halbjahr die Jungen.
# Welche Bedürfnisse der Mädchen und Jungen werden im monoedukativen Mathematikunterricht in der 7. Jahrgangsstufe geäußert? 

# Wie wird diesen von den Lehrkräften begegnet?
# Welche Handlungsempfehlungen lassen sich ableiten?


===Studiendesign===
Zunächst wollte ich die Entwicklung der Mathematikleistungen der Kinder im getrenntgeschlechtlichen Unterricht abbilden, um sehen zu können, ob die Geschlechtertrennung überhaupt positiv eingeschätzt werden kann. Ich habe mich dabei gegen die Erhebung von Schulnoten entschieden, weil ich diese weder schulintern noch zwischen unterschiedlichen Schulen für vergleichbar halte. Entschieden habe ich mich für die Erhebung der Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts der Schülerinnen und Schüler, denn Voraussetzung für eine gute Leistungsfähigkeit (Helmke & Weinert, 1997; Schilling, Sparfeldt & Rost, 2006) ist ein positives Fähigkeitsselbstkonzept. Es beschreibt die mentale Repräsentation der eigenen Person (Moeller, Trautwein 2011), also die Wahrnehmung und Einschätzung eigener Fähigkeiten (Hasselhorn & Gold 2013).


Im Schuljahr 2013/14 organisierten vier Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt ihren Mathematikunterricht in der siebten Jahrgangsstufe monoedukativ. Vier männliche und fünf weibliche Lehrkräfte unterrichteten 84 Mädchen und 94 Jungen in je vier Mädchen- und Jungenlerngruppen und einer gemischten Klasse. Die Lehrkräfte der monoedukativen Gruppen wechselten diese zum Halbjahr.
Zu drei Messzeitpunkten bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen standardisierten Fragebogen „zur Erfassung des Selbstkonzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten“ (Rost, Sparfeldt & Schilling, 2007).  
Das Schaubild zeigt die Erhebungsinstrument und wann sie im Untersuchungszeitraum Juli 2013 bis Juli 2014 eingesetzt wurden:


[[Datei:Bildschirmfoto 2015-10-25 um 09.27.16.png|Überblick zum Zeitplan der Untersuchung]]
Da Signifikanztests bei kleinen Stichproben nicht aussagekräftig sind, habe ich die Entwicklung der mathematischen Selbstkonzepte mithilfe der stichprobenunabhängigen Effektstärke Cohens d dargestellt.
Für acht Lerngruppen ließen sich kleine bis mittlere Effektstärken errechnen. Das bedeutet, dass sich das mathematische Selbstkonzept der untersuchten Kinder im monoedukativen Unterricht positiv entwickelt hat. Es lässt nicht den Schluss zu, dass das monoedukative Setting allein Grund für diese Entwicklung ist. Angenommen werden kann, dass der Mathematikunterricht in diesen acht Gruppen zu einer positiven Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts als Grundlage für die positive Entwicklung der Mathematikleistungen geführt hat und dass die fünf beteiligten Lehrkräfte einen entsprechend förderlichen Unterricht gestaltet haben.
 
Diese Annahme motivierte mich, die acht Lerngruppen und ihre Lehrkräfte genauer zu betrachten. Besonders interessant finde ich eine vergleichende Betrachtung von drei Mädchen- und drei Jungengruppen, die jeweils von der gleichen Lehrkraft unterrichtet wurden. Es gibt bereits Studien zu der methodisch-inhaltlichen Gestaltung von gendersensiblem Mathematikunterricht, sowie der gendersensiblen Gesprächsführung in fragend-entwickelnden Unterrichtsphasen und daraus resultierende Empfehlungen (Anina Mischau (2015) und Helga Jungwirth (2012)). Noch nicht untersucht ist die nonverbalen Kommunikation.
 
Die videografierten Unterrichtsstunden der drei Lehrkräfte mit kleinen und mittleren Effektstärken in beiden Geschlechtergruppen werden einer qualitativen Analyse unterzogen, um die verschiedenen Momente der nonverbalen Kommunikation herauszustellen, die ein erfolgreiches Mathematiklernen der Schülerinnen und Schüler unterstützen können. Diese Analyse ist gerade in Arbeit.


Der Selbstkonzeptfragebogen erhebt quantitative Daten und ist standardisiert. (Rost, D. H., Sparfeldt, J., Schilling, S. R. 2007). Teilnehmend beobachtet mit Anfertigung eines Protokolls wurde bei jeder Lehrkraft pro Halbjahr mind. eine Unterrichtsstunde. Videografiert wurde pro Lehrkraft eine Stunde bei den Jungen und eine bei den Mädchen. Diesen beiden Stunden lag pro Lehrkraft die gleiche Unterrichtsplanung zugrunde. Es kamen drei Kameras zum Einsatz. Eine, die die Lehrkraft aufnahm und zwei in den beiden vorderen Ecken, um die gesamte Klasse filmen zu können.
Das Lehrertreffen I fand statt, um Zwischenbilanz zu ziehen und die Unterrichtssequenz „Terme und Gleichungen“ gemeinsam vorzubereiten. Leider gelang dies nicht.
Das Lehrertreffen II war Abschlussveranstaltung. Es wurden Daten zu den Teilnehmerschulen und den am Schulleben beteiligten Personen in Bezug auf das Projekt per Fragebogen zu sammeln. In Gruppeninterviews wurden die Lehrkräfte zum Verlauf des Projekts und ihren Einstellungen dazu befragt.


=== Literatur ===
=== Literatur ===
<!-- ggf. Literaturangaben -->
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Folgende Liste wird noch vervollständigt:
* Benoelken, R. (2016): ''Wünsche von Mädchen und Jungen zur Gestaltung des Mathematikunterrichts – Erste Ergebnisse einer qualitativen Studie.'' In H. Linneweber-Lammerskitten (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2016. Münster: WTM
 
* Budde, J. (2009). ''Mathematikunterricht und Geschlecht: Empirische Ergebnisse und pädagogische Ansätze.'' In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung in Bildung und Forschung (Hrsg.). Bildungsforschung Band 30. Bonn, Berlin.
Artelt, C., Demmrich, A., Baumert, J. ''(2001). Selbstreguliertes Lernen.In: Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Internationalen Vergleich''. Opladen: Leske+Budrich
* Budde, J. (2008). ''Bildungs(miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen''. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung in Bildung und Forschung (Hrsg.). Bildungsforschung Band 23. Bonn, Berlin.
 
* Hasselhorn, M., Gold, A. (2013). ''Pädagogische Psychologie: Erfolgreiches Lernen und Lehren'' (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer
Baumert, J., Bos, W., Lehmann, R. (2000). ''TIMSS/III. Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie. Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn. Band 2: Mathematische und physikalische Kompetenzen am Ende der gymnasialen Oberstufe''. Opladen: Leske+Budrich
* Helmke, A., Weinert, F.E. (1997). ''Bedingungsfaktoren schulischer Leistung.'' In F.E. Weinert (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie. Bd. 3 Psychologie des Unterrichts und der Schule. Göttngen: Hogrefe.


 
* Jahnke-Klein, S. (2001). ''Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen.'' Hohengehren: Schneider-Verlag.
Budde, J. (2008). Bildungs(miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen. Berlin: BMBF
* Jungwirth, H.  (2012). IMST Gender_Diversitäten Netzwerk (Hrsg.): ''Genderkompetenz im Mathematikunterricht. Fachdidaktische Anregungen für Lehrerinnen und Lehrer.'' Klagenfurt: Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung.
 
* Kasten, H. (2010). ''Geschlechtsunterschiede''. In D.H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 4. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz. 

Helmke, A., Weinert, F. E. (1997). Bedingungsfaktoren schulische Leistung. In: Wienert F E (Hrsg.): ''Enzyklopädie der Psychologie (Bd. 3 - Psychologie des Unterrichts und der Schule)''. Göttingen: Hogrefe
* Mischau, A., Bohnet, K. (2015): Mathematik „anders“ lehren und lernen.
 
* Prenzel, M., Baumert, J., Blum, W., Lehmann, R., Leutner, D., Neubrand, M., ... Schiefele, U. (2006). PISA 2003: ''Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres''. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. 

Jahnke-Klein, S. (2001). ''Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen''. Hohengehren: Schneider  
* Prenzel, M., Sälzer, C., Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.) (2013). ''PISA 2012: Fortschritte und Hausforderungen in Deutschland''. Münster: Waxmann.
* Rost, D. H., Sparfeldt, J. R., & Schilling, S. R. (2007). ''Differentielles schulisches Selbstkonzept-Gitter mit Skala zur Erfassung des Selbstkonzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten (DISK-Gitter mit SKSLF-8)''. Göttingen: Hogrefe.
* Schilling, S., Sparfeldt, J., Rost, D. (2006). ''Facetten schulischen Selbstkonzepts. Welchen Unterschied macht das Geschlecht''. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20 (2), 9 -18


Prenzel et al. (2006). PISA 2003. Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres, Münster, New York, 
München, Berlin: Waxmann


Schilling, S. R., Sparfeldt, J. R., Rost, D. H. (2006). ''Facetten schulischen Selbstkonzepts: Welchen Unterschied macht das Geschlecht?'' In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, 9 - 18.


=== Links ===
=== Links ===
<!-- ggf. Verweise auf Internetquellen -->
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Aktuelle Version vom 24. Januar 2018, 21:03 Uhr


Geschlechtersensibler Mathematikunterricht zum Umgang mit Heterogenität in der Sekundarstufe I

Promotionsprojekt von Silke Fleckenstein, Universität Potsdam. Betreut von Ulrich Kortenkamp und Bettina Rösken-Winter.


Zusammenfassung

Unter den vielen unterrichtsrelevanten Heterogenitätsaspekten fokussiere ich in meinem Promotionsprojekt das soziale Geschlecht.

Obwohl Mädchen und Jungen die gleichen intellektuellen Fähigkeiten besitzen, differieren die Mathematikleistungen ab der Sekundarstufe deutlich (Budde, 2009). Die Verteilung der Lernenden auf die verschiedenen Kompetenzstufen in der PISA-Erhebung von 2012 zeigt, dass in Deutschland Jungen signifikant bessere Leistungen erbringen als Mädchen. Auf den unteren Kompetenzstufen sind Mädchen stärker vertreten als Jungen, ab Kompetenzstufe IV bis VI finden sich mehr Jungen (Prenzel u. a., 2013).

Es gibt Hinweise darauf, dass Mädchen und Jungen in der Sekundarstufe I unterschiedlich Mathematik lernen. Zudem äußern Mädchen und Jungen unterschiedliche Wünsche an ihren Mathematikunterricht, um erfolgreicher lernen zu können. Beispielsweise sind Jungen beim Lösen von Aufgaben tendenziell risikofreudiger und langweilen sich schneller; sie wünschen sich Herausforderung und Abwechslung. Mädchen hingegen scheinen sicherheitsbedürftiger beim Erlernen neuer Inhalte und wünschen sich mehr Zeit zum Bearbeiten von Aufgaben. Mehr Mädchen als Jungen wünschen sich zusätzliches Übungsmaterial, mehr Lösungskontrollen und Schemata, Merksätze und Regeln (Jahnke-Klein, 2001). Mädchen und Jungen wünschen sich gleichermaßen kooperative Lernformen (Benoelken, 2016). Beim Problemlösen scheinen Jungen erfolgreicher, wenn begriffliches oder numerisches Denken erforderlich ist. Mädchen scheinen besser, wenn verbales Denken erforderlich ist und entwickeln kreatives Denken ebenfalls besser bezogen auf verbales Material (Kasten, 2010). Jungen wirken durch ihre starke, nicht immer fachbezogene Unterrichtsbeteiligung kompetenter auf Lehrkräfte (Budde, 2008). Sie zeigen sich generell interessierter, motivierter und haben ein positiveres Selbstbild als Mädchen. (Budde, 2009; Prenzel u.a., 2006).

Diese Befunde wurden in koedukativen Settings erhoben. Interessant wäre es zu sehen, wie sich das Mathematiklernen in getrenntgeschlechtlichen Gruppen darstellt. Zeigen sich dort Unterschiede?

Für die Untersuchung in getrenntgeschlechtlichen Gruppen konnte ich vier Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt gewinnen, die ihren Mathematikunterricht in der siebten Jahrgangsstufe für ein Schuljahr monoedukativ organisierten. Circa 180 Schülerinnen und Schüler und neun Lehrkräfte waren involviert, die Lehrkräfte unterrichteten ein Halbjahr die Mädchen und ein Halbjahr die Jungen.

Zunächst wollte ich die Entwicklung der Mathematikleistungen der Kinder im getrenntgeschlechtlichen Unterricht abbilden, um sehen zu können, ob die Geschlechtertrennung überhaupt positiv eingeschätzt werden kann. Ich habe mich dabei gegen die Erhebung von Schulnoten entschieden, weil ich diese weder schulintern noch zwischen unterschiedlichen Schulen für vergleichbar halte. Entschieden habe ich mich für die Erhebung der Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts der Schülerinnen und Schüler, denn Voraussetzung für eine gute Leistungsfähigkeit (Helmke & Weinert, 1997; Schilling, Sparfeldt & Rost, 2006) ist ein positives Fähigkeitsselbstkonzept. Es beschreibt die mentale Repräsentation der eigenen Person (Moeller, Trautwein 2011), also die Wahrnehmung und Einschätzung eigener Fähigkeiten (Hasselhorn & Gold 2013).

Zu drei Messzeitpunkten bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen standardisierten Fragebogen „zur Erfassung des Selbstkonzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten“ (Rost, Sparfeldt & Schilling, 2007).

Da Signifikanztests bei kleinen Stichproben nicht aussagekräftig sind, habe ich die Entwicklung der mathematischen Selbstkonzepte mithilfe der stichprobenunabhängigen Effektstärke Cohens d dargestellt. Für acht Lerngruppen ließen sich kleine bis mittlere Effektstärken errechnen. Das bedeutet, dass sich das mathematische Selbstkonzept der untersuchten Kinder im monoedukativen Unterricht positiv entwickelt hat. Es lässt nicht den Schluss zu, dass das monoedukative Setting allein Grund für diese Entwicklung ist. Angenommen werden kann, dass der Mathematikunterricht in diesen acht Gruppen zu einer positiven Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts als Grundlage für die positive Entwicklung der Mathematikleistungen geführt hat und dass die fünf beteiligten Lehrkräfte einen entsprechend förderlichen Unterricht gestaltet haben.

Diese Annahme motivierte mich, die acht Lerngruppen und ihre Lehrkräfte genauer zu betrachten. Besonders interessant finde ich eine vergleichende Betrachtung von drei Mädchen- und drei Jungengruppen, die jeweils von der gleichen Lehrkraft unterrichtet wurden. Es gibt bereits Studien zu der methodisch-inhaltlichen Gestaltung von gendersensiblem Mathematikunterricht, sowie der gendersensiblen Gesprächsführung in fragend-entwickelnden Unterrichtsphasen und daraus resultierende Empfehlungen (Anina Mischau (2015) und Helga Jungwirth (2012)). Noch nicht untersucht ist die nonverbalen Kommunikation.

Die videografierten Unterrichtsstunden der drei Lehrkräfte mit kleinen und mittleren Effektstärken in beiden Geschlechtergruppen werden einer qualitativen Analyse unterzogen, um die verschiedenen Momente der nonverbalen Kommunikation herauszustellen, die ein erfolgreiches Mathematiklernen der Schülerinnen und Schüler unterstützen können. Diese Analyse ist gerade in Arbeit.


Literatur

  • Benoelken, R. (2016): Wünsche von Mädchen und Jungen zur Gestaltung des Mathematikunterrichts – Erste Ergebnisse einer qualitativen Studie. In H. Linneweber-Lammerskitten (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht 2016. Münster: WTM
  • Budde, J. (2009). Mathematikunterricht und Geschlecht: Empirische Ergebnisse und pädagogische Ansätze. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung in Bildung und Forschung (Hrsg.). Bildungsforschung Band 30. Bonn, Berlin.
  • Budde, J. (2008). Bildungs(miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/männlichen Jugendlichen. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Referat Bildungsforschung in Bildung und Forschung (Hrsg.). Bildungsforschung Band 23. Bonn, Berlin.
  • Hasselhorn, M., Gold, A. (2013). Pädagogische Psychologie: Erfolgreiches Lernen und Lehren (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer
  • Helmke, A., Weinert, F.E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistung. In F.E. Weinert (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie. Bd. 3 – Psychologie des Unterrichts und der Schule. Göttngen: Hogrefe.


  • Jahnke-Klein, S. (2001). Sinnstiftender Mathematikunterricht für Mädchen und Jungen. Hohengehren: Schneider-Verlag.
  • Jungwirth, H. (2012). IMST Gender_Diversitäten Netzwerk (Hrsg.): Genderkompetenz im Mathematikunterricht. Fachdidaktische Anregungen für Lehrerinnen und Lehrer. Klagenfurt: Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung.
  • Kasten, H. (2010). Geschlechtsunterschiede. In D.H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. 4. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz. 

  • Mischau, A., Bohnet, K. (2015): Mathematik „anders“ lehren und lernen.
  • Prenzel, M., Baumert, J., Blum, W., Lehmann, R., Leutner, D., Neubrand, M., ... Schiefele, U. (2006). PISA 2003: Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. 

  • Prenzel, M., Sälzer, C., Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.) (2013). PISA 2012: Fortschritte und Hausforderungen in Deutschland. Münster: Waxmann.
  • Rost, D. H., Sparfeldt, J. R., & Schilling, S. R. (2007). Differentielles schulisches Selbstkonzept-Gitter mit Skala zur Erfassung des Selbstkonzepts schulischer Leistungen und Fähigkeiten (DISK-Gitter mit SKSLF-8). Göttingen: Hogrefe.
  • Schilling, S., Sparfeldt, J., Rost, D. (2006). Facetten schulischen Selbstkonzepts. Welchen Unterschied macht das Geschlecht. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20 (2), 9 -18


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