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Vernetzen: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 28. Mai 2013, 10:44 Uhr
Vorbemerkung
Sowohl in der Presse als auch in der Wissenschaft wird bekanntlich gerne von „Vernetzen“ und „Vernetzung“ gesprochen und geschrieben – auch in der Didaktik der Mathematik. Insbesondere drängt sich bei der Lektüre der Fachliteratur und bei vielen Fachvorträgen der Eindruck auf, dass man, wenn dort von „Vernetzen“ die Rede ist, meist ohne jeden Qualitätsverlust stattdessen schlicht von „Verbinden“ sprechen kann. Nun steht aber „Verbinden“ durchaus in der Tradition von Freudenthal, Wittenberg und E. Chr. Wittmann, wenn diese nämlich einen beziehungshaltigen Unterricht fordern, oder wenn Vollrath z. B. von „Verbindung“ als einer „methodischen Variante“ spricht.[1]
Der Terminus „Vernetzen“ wäre dann in Umkehrung von Matthäus 9, 17 nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ – das klingt zwar gut, ist aber nach Fritz Erler „reziplikativ“:[2]
- „Die undeutlichen Formen des Kanzlers sind sehr reziplikativ.“ Ein aufmerksamer CDU-Abgeordneter rief dazwischen: „Was ist das?“ Erler: „Sie fragen, was das heißt, das heißt gar nichts, das spricht sich nur so schön.“
Wissenschaftliche Fachtermini müssen (zumindest fachspezifisch) definiert und dürfen nicht nur im umgangssprachlichen recht offenen Sinn verwendet werden. Wenn aber mit „Vernetzen“ tatsächlich ein (neuer?) Bildungsanspruch einhergehen sollte, der mit dem „Verbinden“ noch nicht erfasst wird und der über die teilweise nur statisch interpretierbare „Beziehungshaltigkeit“ erkennbar hinausweist, dann bedarf dies einer definitorischen Begriffsklärung, und andernfalls sollte man nur „Verbindung“ bzw. „Verbinden“ sagen und schreiben. Das wird im Folgenden andeutungsweise erläutert.[3]
Übersicht
Auf der Suche nach einer sinnvollen Definition von „Vernetzen“ im pädagogisch-didaktischen Kontext wird man beachten, dass dem „Vernetzen“ etymologisch das „Netz“ zugrunde liegt, dessen Bedeutung also zunächst zu klären ist. Es zeigt sich, dass zu einem „Netz“ im pädagogisch-didaktischen Kontext nicht nur dessen Bestandteile (Knoten und Kanten) gehören, sondern auch Benutzer (vor allem Schülerinnen und Schüler) und Betrachter (zunächst Lehrkräfte, aber auch Schülerinnen und Schüler), so dass sich ein solches „Netz“ als ein „System“ im systemtheoretischen Sinn erweist. Gleichwohl wird es im ersten Anlauf genügen, die mathematische Graphentheorie heranzuziehen, um zunächst die Struktur der „Bestandteile“ zu beschreiben, was zu besonderen als „Netzgraphen“ bezeichneten Graphen führt, bei denen jede Kante Teil einer Masche ist. Diese sehr strenge Forderung kann gelockert werden, indem man fordert, dass mindestens eine Kante Teil einer Masche ist, wodurch ein „Netzwerk“ gekennzeichnet ist, so dass also jedes Netzwerk ein Netzgraph ist, aber nicht umgekehrt. Damit kann man wichtige Erkenntnisse der sog. „Netzwerktheorie“[4] heranziehen, die sich seit etwa 1990 international beachtlich entwickelt hat, so z. B. in der Physik und in der Soziologie. Dazu gehören dann unterschiedliche „Vernetzungsgradmaße“ bzw. „Netzwerkstatistiken“ wie z. B. Clusterkoeffizient und Durchmesser, die auch im pädagogisch-didaktischen Kontext heranziehbar bzw. gar heranzuziehen sind.[5]
Die graphentheoretische Beschreibung lässt sich nicht nur auf die Bestandteile anwenden, sondern auch z. B. auf die strukturierten Benutzer, die sich dann ggf. als ein bipartiter Graph beschreiben lassen, eine Kennzeichnung, die auch auf die heute immer wichtiger werdenden sozialen Netzwerke (nicht zu verwechseln mit einem „sozialen Netz“) zutrifft.
Ferner werden sich die aus der Netzwerktheorie bekannten Effekte „Kleiner Welten“ bzw. „Small Worlds“ in Verbindung mit den sog. „Naben“ als pädagogisch-didaktisch bedeutsam erweisen. Solange jedoch mit „Vernetzung“ unreflektiert nur „Verbindung“ gemeint ist, wird das ungemein reichhaltige mit „Vernetzung“ intendierbare potential für Erforschung und Entwicklung von Unterricht nicht erschließen (können).
Es sei ergänzt, dass dann auch erklärbar ist, was „Vernetzen“ bedeutet, dass man z. B. „vernetzendes Denken“ und „vernetztes Denken“ unterscheiden kann und dass sich Baumstrukturen als nicht vernetzt erweisen, sondern nur als zusammenhängend: Im Zustand idealer Vernetzung gibt es zwischen je zwei Knoten mindestens zwei verschiedene Verbindungen. Didaktisch ist das insofern bedeutsam, als dass sich damit Offenheit im Unterricht beschreiben lässt: Es gibt dann nicht nur einen Weg zum Ziel.
Vertiefung
Wird fortgesetzt.
Literatur
- ↑ Vollrath, Hans-Joachim: Die Bedeutung methodischer Variablen für den Analysisunterricht. In: Der Mathematikunterricht 22(1976)5, 7–24.
- ↑ Fritz Erler, früherer Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag, während einer Parlamentssitzung im November 1965 in Anspielung auf schwammige Äußerungen des damaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard; vgl. Hamburger Abendblatt vom 30. 11. 1965.
- ↑ Vgl. die ausführliche Untersuchung in: [Hischer 2010]: Hischer, Horst: Was sind und was sollen Medien, Netze und Vernetzungen? Vernetzung als Medium zur Weltganeignung. Hildesheim: Franzbecker, 2008
- ↑ Newman, Mark E. J.: Networks. An Introduction. Oxford: Oxford University Press. 772 Seiten.
- ↑ Vgl. die Übersichtsdarstellung in [Hischer 2010], s. o.