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Normative Modellierung im Mathematikunterricht. Bildungspotenzial, exemplarische Sachkontexte und Lernumgebungen

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Stefan Pohlkamp (2021): Normative Modellierung im Mathematikunterricht. Bildungspotenzial, exemplarische Sachkontexte und Lernumgebungen. Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen.
Betreut durch Johanna Heitzer.
Begutachtet durch Johanna Heitzer, Katja Lengnink und Jürgen Maaß.
Erhältlich unter https://doi.org/10.18154/RWTH-2021-08443
Tag der mündlichen Prüfung: 26.07.2021.


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Zusammenfassung

Übergeordnete schulische Bildungsziele wie die Förderung gesellschaftlicher Aufklärung und individueller Mündigkeit gelten auch für den Mathematikunterricht. Für Heinrich Winter ist diese gesellschaftliche Erwartung einer staatsbürgerlichen Erziehung eng mit mathematischen Inhalten verknüpft, so bedingen sich allgemeinbildende und fachliche Ziele. Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, diesen Anspruch mathematischer Bildung an exemplarischen Themen zu konkretisieren und entsprechende Lernumgebungen vorzuschlagen. Bei der mathematischen Modellierung ist wegen der auftretenden sachkundlich-mathematischen Doppelnatur Aufklärung mittels Mathematik gut möglich und besonders relevant. Eine besondere Rolle spielt die normative Modellierung, bei der Realität mittels Mathematik gestaltet wird – im Unterschied zur deskriptiven Modellierung, bei der lebensweltliche Phänomene mathematisch beschrieben werden. So können Steuern erst dann abgeführt werden, wenn im Vorhinein eine Berechnungsformel aufgestellt worden ist. Dieser Gebrauch von Mathematik ist uneindeutig und in der Regel interessengeleitet sowie aushandlungsbedürftig. Solche Eigenschaften sind in Hinblick auf das Mathematiklernen eher ungewohnt, haben aber einen hohen Bildungswert im Zuge einer öffentlichen Debatte und Bewertung. Bei aktuellen Lehrplänen findet eine Schwerpunktsetzung – wenn nicht gar eine Beschränkung – auf deskriptive Modellierung statt. In dieser Arbeit wird das Potenzial herausgearbeitet, das einer unterrichtlichen Thematisierung normativer Modellierung auch auf fachlicher Ebene innewohnt. Dies mündet in einem Katalog an konkreten Lernzielen, die die bereits angestrebten mathematischen Kompetenzen im Bereich der Modellierung entscheidend erweitern und das Bild von Mathematik abrunden. Sitzverteilungsfragen bei Verhältniswahlen stellen ein paradigmatisches Beispiel für normative Modellierung dar. Einerseits führen normative Entscheidungen im Modellierungsprozess zu klassischen Problemen der Sitzverteilungsmathematik, andererseits gibt die aktuelle Debatte um die Erhöhung der Bundestagsgröße Gelegenheit, die Wechselwirkung von Mathematik und Sachkontext authentisch aufzuzeigen. In einer entsprechenden Sachanalyse werden Sitzverteilungen als algorithmisch definierte Zuordnungen verglichen und der Unmöglichkeitssatz von Balinski und Young als zentrale Aussage über die innermathematische Notwendigkeit einer normativen Entscheidung dargestellt. Ebenso wird die Mathematik hinter dem Bundeswahlgesetz durchleuchtet. Aus dieser stoffdidaktischen Untersuchung erwächst eine der Hauptintentionen dieser Arbeit, so sollen Schüler:innen am Thema der Sitzverteilungsverfahren für normative Modellierung sensibilisiert werden. Der Modellierungsprozess von den abgegebenen Stimmen bis zur Parlamentszusammensetzung ist Gegenstand eines entwickelten und erprobten Workshops. Zunächst werden allgemeine Fragestellungen der Wahlmathematik behandelt, bevor die Sitzverteilung bei der Bundestagswahl in den Blick genommen wird. In den Arbeitsphasen können Schüler:innen authentische und motivierende Situationen über dynamische Darstellungen erkunden und den mathematischen Hintergrund herausarbeiten. Um die vorgeschlagenen Lernziele zu vervollständigen, werden drei weitere Sachkontexte sowie die zugehörigen mathematischen Erkenntnisse vorgestellt. Dabei wird jeweils eine Facette vertieft: selbsttätiges Modellieren von Lernenden zur Unternehmensbewertung, die Wechselwirkung normativer und deskriptiver Aspekte bei einer Modellierung rund um das Arktis-Eis sowie die Vorteile digitaler Werkzeuge zur Förderung staatsbürgerlicher Mündigkeit anhand von Modellen zur Einkommensteuer. Als Lernergebnisse äußern Schüler:innen Vorstellungen zur (normativen) Modellierung und zum allgemeinen Bild von Mathematik, die Einblicke in ein produktives Spannungsfeld im Sinne der ursprünglichen Prämisse der vorliegenden Arbeit bieten. Denn es besteht ein didaktisch konstruktiver Zusammenhang zwischen mathematischer Bildung, normativer Modellierung und der gesellschaftlichen Bedeutung von Mathematik. Zusammenfassend werden in dieser Arbeit folgende Anliegen verfolgt:– Potenzialanalyse normativer Modellierung aus der Perspektive mathematischer Bildung– Herausarbeiten übergeordneter Lernziele für einen erweiterten Modellierungsbegriff– mathematische und sachkundliche Darstellung von Sitzverteilungsverfahren als Prototyp einer normativen Modellierung– didaktische Umsetzung dieses Themas in einem Workshop sowie Entwicklung weiterer Lernumgebungen zu ausgewählten Schwerpunkten– Aufzeigen wünschenswerter und tatsächlicher Auswirkungen auf Vorstellungen von Mathematik bei Schüler:innen und damit verbundene staatsbürgerliche Bildung. Über eine stoffdidaktische Aufbereitung exemplarischer Sachkontexte entstehen konkrete Lernumgebungen, mit denen an mathematischen Inhalten normative Modellierung entdeckt werden kann. Dies erhöht den Zugang zu staatsbürgerlich wichtigen, aber komplexen Themen – auch mittels digitaler Darstellungen: Neue Einsichten und die Reflexion, wie Mathematik in gesellschaftlich relevanten Bereichen genutzt wird, charakterisieren das damit verbundene Bildungspotenzial.