Medien in didaktischer Sicht: Unterschied zwischen den Versionen

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<small><small>Verfasst von [[Horst Hischer]]</small></small>
==Überblick <small><small><ref>Vgl. die ausführlicheren Darstellungen in [Hischer 2002] und [Hischer [2010].</ref></small></small>==
==Überblick <small><small><ref>Vgl. die ausführlicheren Darstellungen in [Hischer 2002] und [Hischer [2010].</ref></small></small>==
Es gibt kein einheitliches Verständnis dessen, was „Medien“ sind. Im Alltagsverständnis kennt man Medien vor allem in den engen Bedeutungen von „Massenmedien“ wie etwa Presse, Funk und Fernsehen. Im Schulalltag meint man damit meist „handhabbare Unterrichtsmedien“ und hier insbesondere „''[[#technische Medien|technische Medien]]''“ wie beispielsweise diverse Projektoren (früher Diaprojektor und Filmprojektor, dann Overhead-Projektor, nun auch Datenprojektor („Beamer“) und Smartboard). Die tatsächliche Viel­falt ihres Auftretens wird z. B. mit folgender Be­griffsbestim­mung erfasst: <ref name=Hischer10>Vgl. die bildungstheoretische Analyse von „Medien“ und „Kultur“ in [Hischer 2010].</ref> <br />
Es gibt kein einheitliches Verständnis dessen, was „Medien“ sind. Im Alltagsverständnis kennt man Medien vor allem in den engen Bedeutungen von „Massenmedien“ wie etwa Presse, Funk und Fernsehen. Im Schulalltag meint man damit meist „handhabbare Unterrichtsmedien“ und hier insbesondere „''[[#technische Medien|technische Medien]]''“ wie beispielsweise diverse Projektoren (früher Diaprojektor und Filmprojektor, dann Overheadprojektor, nun auch Datenprojektor („Beamer“) und Smartboard). Die tatsächliche Viel­falt ihres Auftretens wird z. B. mit folgender Be­griffsbestim­mung erfasst: <ref name=Hischer10>Vgl. die bildungstheoretische Analyse von „Medien“ und „Kultur“ in [Hischer 2010].</ref> <br />
* Medien begegnen uns (1) als ''Vermittler von Kultur'', (2) als ''dargestellte Kultur'', (3) als ''Werkzeuge'' oder ''Hilfsmittel'' zur Weltaneignung, (4) als ''künstliche Sinnes­organe'' und (5) als ''Umgebungen'' bei Handlungen.  <br />
* Medien begegnen uns (1) als ''Vermittler von Kultur'', (2) als ''dargestellte Kultur'', (3) als ''Werkzeuge'' oder ''Hilfsmittel'' zur Weltaneignung, (4) als ''künstliche Sinnes­organe'' und (5) als ''Umgebungen'' bei Handlungen.  <br />


„Kultur“ ist hier im Zusammenhang mit „Enkulturation“ zu sehen und bedeutet dann wesentlich mehr, als es z. B. der „Kulturteil“ (früher: „Feuilleton“) in den „Massenmedien“ zu suggerieren vermag. <ref name=Hischer10></ref> <br />
„Kultur“ ist hier im Zusammenhang mit „Enkulturation“ zu sehen und bedeutet dann wesentlich mehr, als es z. B. der „Kulturteil“ (früher: „Feuilleton“) in den „Massenmedien“ zu suggerieren vermag. <ref name=Hischer10></ref> <br />
Während (1) das ''Vermittelnde und Mittelbare'' von Medien (zur Wahrnehmung von „Kultur“) betont, erscheinen in (2) Medien ihrerseits als ''Teil der Kultur'', die sich in ihnen zeigt.<br />
Während (1) das ''Vermittelnde und Mittelbare'' von Medien (zur Wahrnehmung von „Kultur“) betont, erscheinen in (2) Medien ihrerseits als ''Teil der Kultur'', die sich in ihnen zeigt.<br />
<div id="Organmetapher"></div> In den Aspekten (3) und (4), der '''''Organmetapher''''', legt Wolf-Rüdiger Wagner dar, dass Medien auch als ''Werkzeuge zur Welt­aneig­nung'' und als ''künstliche Sinnesorgane'' auftreten. <ref>[Wagner [2004]]</ref> Und dass Medien gemäß (5) als „Umgebungen bei Handlungen“ auftreten, wird an Formulierungen aus den Erziehungs- und Sozialwissenschaften wie „''im Medium des Allgemeinen''“ ([http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Klafki Wolfgang Klafki]) oder „''im kulturellen Medium von Moral''“ ([https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89mile_Durkheim Émile Durkheim]) erkennbar, denn hier werden Assoziationen an das in der physikalischen Optik geläufige „Medium als Umgebung“ geweckt. Damit erscheint auch die in der Pädago­gik so genannte Lernumgebung als Medium.<br />
<div id="Organmetapher"></div> In den Aspekten (3) und (4), der von ihm so genannten ''Organmetapher'', legt Wolf-Rüdiger Wagner dar, dass Medien auch als ''Werkzeuge zur Welt­aneig­nung'' und als ''künstliche Sinnesorgane'' auftreten. <ref>[Wagner [2004]]</ref> Und dass Medien gemäß (5) als „Umgebungen bei Handlungen“ auftreten, wird an Formulierungen aus den Erziehungs- und Sozialwissenschaften wie „''im Medium des Allgemeinen''“ ([http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Klafki Wolfgang Klafki]) oder „''im kulturellen Medium von Moral''“ ([https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89mile_Durkheim Émile Durkheim]) erkennbar, denn hier werden Assoziationen an das in der physikalischen Optik geläufige „Medium als Umgebung“ geweckt. Damit erscheint auch die in der Pädago­gik so genannte Lernumgebung als Medium.<br />


Diese fünf Aspekte lassen sich im pädagogisch-didaktischen Kontext wie folgt zusammenfassen:  <br />  
Diese fünf Aspekte lassen sich im pädagogisch-didaktischen Kontext wie folgt zusammenfassen:  <br />  
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In diesem Deutungsansatz zeigt sich eine ''Doppelgesichtigkeit'' von Medien, so dass sich die „klassische“ und eher naive Deutung von ''Medien als Vermittlern'' als ''einseitig'' und ''zu eng'' erweist.  
In diesem Deutungsansatz zeigt sich eine ''Doppelgesichtigkeit'' von Medien, so dass sich die „klassische“ und eher naive Deutung von ''Medien als Vermittlern'' als ''einseitig'' und ''zu eng'' erweist.  
Zugleich weist dies auf eine Dyas im Rahmen einer [[Integrative Medienpädagogik|Integrativen Medienpädagogik]] hin, wie sie auch in der Perspektivenmatrix technischer Medien dargestellt ist: „Medien als Unterrichtsmittel“ (im ersten Fall) vs. „Medien als Unterrichtsinhalt“ (im zweiten Fall).
Zugleich weist dies auf eine Dyas im Rahmen einer [[Integrative Medienpädagogik|Integrativen Medienpädagogik]] hin, wie sie auch in der [[Medienpädagogik#Perspektivenmatrix|Perspektiven­matrix für technische Medien]] dargestellt ist: „Medien als Unterrichtsmittel“ (im ersten Fall) vs. „Medien als Unterrichtsinhalt“ (im zweiten Fall).


==Medien als Werkzeuge zur Weltaneignung und als künstliche Sinnesorgane==
==Medien als Werkzeuge zur Weltaneignung und als künstliche Sinnesorgane==
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==„Medium“ als Genus verbi im Griechischen==
==„Medium“ als Genus verbi im Griechischen==
Die deutsche Sprache kennt zwei sog. „Verbformen“ (auch „Verbgeschlecht“ oder „Genus verbi“): das „Aktiv“ und das „Passiv“. Im Griechischen gibt es darüber hinaus ein drittes Genus verbi, das zwischen diesen beiden Genera liegt, also zwischen Aktiv und Passiv, indem es grammatisch eine ''Mittelstellung'' einnimmt und deshalb auch „Medium“ genannt wird. <ref>Vgl. Peter Riemer in [Hischer 2010, 26 f.].</ref> Während beim Aktiv eine Handlung beschrieben wird, die vom Subjekt ausgeht, und beim Passiv eine Handlung beschrieben wird, die das Objekt „erleidet“, bezeichnet das „Medium“ als Verb­form im Griechischen eine '''Handlung''', ''die vom Subjekt des Satzes ausgeht und auf eben dieses Subjekt zurückwirkt''. Dieses kann gemäß Peter Riemer auf verschiedene Weisen geschehen: <ref>Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung von Peter Riemer in [Hischer 2010, 26 ff.].</ref> '''dynamisch''' (das Subjekt ist unmittelbar betroffen, z. B. „sich freuen“, „hören“, „arbeiten“), '''direkt''' (Subjekt und Objekt der Handlung sind identisch, z. B. „ich wasche mich“), '''indirekt''' (Subjekt und Objekt sind zwar nominell verschieden, das Subjekt ist aber involviert, z. B. „ich wasche mir den Körper“, „die Menschen gaben sich die Gesetze“), '''kausativ''' (das Subjekt hat ein genuines Inter­esse an der von ihm ausgehenden Handlung, also an der Wirkung, z. B. „ich lasse mir die Tochter bzw. den Sohn ausbilden“), '''reziprok''' (in die durch das Verb bezeichn­ete Handlung sind zwei Subjekte wech­selseitig einbezogen, z. B. „sich unterhalten“, „kämpfen“).<br />
Die deutsche Sprache kennt zwei sog. „Verbformen“ (auch „Verbgeschlecht“ oder „Genus verbi“): das „Aktiv“ und das „Passiv“. Im Griechischen gibt es darüber hinaus ein drittes Genus verbi, das zwischen diesen beiden Genera liegt, also zwischen Aktiv und Passiv, indem es grammatisch eine ''Mittelstellung'' einnimmt und deshalb auch „Medium“ genannt wird. <ref>Vgl. Peter Riemer in [Hischer 2010, 26 f.].</ref> Während beim Aktiv eine Handlung beschrieben wird, die vom Subjekt ausgeht, und beim Passiv eine Handlung beschrieben wird, die das Objekt „erleidet“, bezeichnet das „Medium“ als Verb­form im Griechischen eine '''Handlung''', ''die vom Subjekt des Satzes ausgeht und auf eben dieses Subjekt zurückwirkt''. Dieses kann gemäß [http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Riemer Peter Riemer] auf verschiedene Weisen geschehen: <ref>Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung von Peter Riemer in [Hischer 2010, 26 ff.].</ref> '''dynamisch''' (das Subjekt ist unmittelbar betroffen, z. B. „sich freuen“, „hören“, „arbeiten“), '''direkt''' (Subjekt und Objekt der Handlung sind identisch, z. B. „ich wasche mich“), '''indirekt''' (Subjekt und Objekt sind zwar nominell verschieden, das Subjekt ist aber involviert, z. B. „ich wasche mir den Körper“, „die Menschen gaben sich die Gesetze“), '''kausativ''' (das Subjekt hat ein genuines Inter­esse an der von ihm ausgehenden Handlung, also an der Wirkung, z. B. „ich lasse mir die Tochter bzw. den Sohn ausbilden“), '''reziprok''' (in die durch das Verb bezeichn­ete Handlung sind zwei Subjekte wech­selseitig einbezogen, z. B. „sich unterhalten“, „kämpfen“).<br />
    
    
Kron kommentiert diese Verbform mit Blick auf bildungswissenschaftliche Konsequenzen: <ref>[Kron 2000, 324]; dargestellt in [Hischer 2010, 28]. </ref>
Kron kommentiert diese Verbform mit Blick auf bildungswissenschaftliche Konsequenzen: <ref>[Kron 2000, 324]; dargestellt in [Hischer 2010, 28]. </ref>
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==Literatur==
==Literatur==
* Durkheim, Émile [1973]: Erziehung, Moral, Gesellschaft. Vorlesungen an der Sorbonne 1902/1903. (1972 bei Neuwied: Luchterhand. Aktuelle Herausgabe 2008 bei Suhrkamp, Frankfurt a. M.)
* Durkheim, Émile [1973]: ''Erziehung, Moral, Gesellschaft. Vorlesungen an der Sorbonne 1902/1903''. (1972 bei Neuwied: Luchterhand. Aktuelle Herausgabe 2008 bei Suhrkamp, Frankfurt a. M.)
* [[Horst Hischer|Hischer, Horst]] [2002]:  [http://www.horst.hischer.de/publikationen/buecher/2002-mu-neumed/cover.htm  Mathematikunterricht und Neue Medien. Hintergründe und Begründungen in  fachdidaktischer und fachübergreifender Sicht.] Hildesheim: Franzbecker,  S. 192 ff. (3., durchgesehene und korrigierte Auflage 2005).  
* [[Horst Hischer|Hischer, Horst]] [2002]:  [http://www.franzbecker.de/in_353.html ''Mathematikunterricht und Neue Medien. Hintergründe und Begründungen in  fachdidaktischer und fachübergreifender Sicht''.] Hildesheim: Franzbecker,  S. 192 ff. (3., durchgesehene und korrigierte Auflage 2005).  
* — [2010]: Was sind und was sollen Medien, Netze und  Vernetzungen? – Vernetzung als Medium zur Weltaneignung. Hildesheim:  Franzbecker.
* — [2010]: ''Was sind und was sollen Medien, Netze und  Vernetzungen? – Vernetzung als Medium zur Weltaneignung''. Hildesheim:  Franzbecker.
* Klafki, Wolfgang [2007]: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik – Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-kon­struk­tive Didaktik. Weinheim / Basel: Beltz (6., neu ausgestattete Auflage; 1. Auflage 1985).
* — [2016]: [http://www.springer.com/de/book/9783658141660 ''Mathematik – Medien – Bildung. Medialitätsbewusstsein als Bildungsziel: Theorie und Beispiele''.] Wiesbaden: Springer Spektrum.
* Kron, Friedrich W. [2000]: Grundwissen Didaktik. München / Basel: Ernst Reinhardt Verlag (3. aktualisierte Auflage; 1. Aufl. 1993).
* Klafki, Wolfgang [2007]: ''Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik – Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-kon­struk­tive Didaktik''. Weinheim / Basel: Beltz (6., neu ausgestattete Auflage; 1. Auflage 1985).
* Tulodziecki, Gerhard [1989]: Medienerziehung in Schule und Unterricht. Bad Heilbrunn (Obb.): Verlag Julius Klinkhardt.
* Kron, Friedrich W. [2000]: ''Grundwissen Didaktik''. München / Basel: Ernst Reinhardt Verlag (3. aktualisierte Auflage; 1. Aufl. 1993).
* — [1997]: Medien in Erziehung und Bildung. Grundlagen und Beispiele einer handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik. Bad Heilbrunn (Obb.): Verlag Julius Klinkhardt.
* Tulodziecki, Gerhard [1989]: ''Medienerziehung in Schule und Unte''rricht. Bad Heilbrunn (Obb.): Verlag Julius Klinkhardt.
* Tulodziecki, Gerhard & Herzig, Bardo & Grafe, Silke [2010]. Medienbildung in Schule und Unterricht. Grundlagen und Beispiele. Bad  Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
* — [1997]: ''Medien in Erziehung und Bildung. Grundlagen und Beispiele einer handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik''. Bad Heilbrunn (Obb.): Verlag Julius Klinkhardt.
* Wagner, Wolf-Rüdiger [2004]: Medienkompetenz revisited – Medien als Werkzeuge der Weltaneignung — ein pädagogisches Programm. München: kopaed.
* Tulodziecki, Gerhard & Herzig, Bardo & Grafe, Silke [2010]. ''Medienbildung in Schule und Unterricht. Grundlagen und Beispiele''. Bad  Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
* [[Wolf-Rüdiger Wagner|Wagner, Wolf-Rüdiger]] [2004]: ''Medienkompetenz revisited – Medien als Werkzeuge der Weltaneignung — ein pädagogisches Programm''. München: kopaed.
* [[Wolf-Rüdiger Wagner|Wagner, Wolf-Rüdiger]] [2013]: ''Bildungsziel [[Medialitätsbewusstsein]]. Einladung zum Perspektivwechsel in der Medienbildung''. München: kopaed.


==Anmerkungen==
==Anmerkungen==
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