Definition

Peter Baumgartner versteht unter Interaktivität „die Möglichkeit, daß Benutzer nicht bloß Rezipienten sind, sondern in den medial vermittelten Informations-, Kommunikations- und Lernprozeß gestaltend eingreifen. Dies betrifft sowohl die Gestaltung der Inhalte, ihre Reihenfolge als auch die Zeit, die mit einzelnen Phasen des Prozesses zugebracht wird. “ 1

Rolf Schulmeister, Professor am Interdisziplinären Zentrum für Hochschuldidaktik an der Universität Hamburg, bezeichnet mit Interaktivität den aktiven Umgang des Lernenden mit Lernobjekten.2

Stufen der Interaktivität

Schulmeister entwickelte eine Taxonomie multimedialer Lernsysteme, die nach ihrem Interaktivitätsniveau differenziert werden. Er unterscheidet sechs Stufen, die ein jeweils höheres Interaktivitätsniveau aufweisen.
Stufe I: Objekte betrachten und rezipieren: Bilder, Grafiken u.ä. werden betrachtet bzw. Ton, Filme oder Flash abgespielt
Stufe II: Multiple Darstellungen betrachten und rezipieren: Es existieren für einige Multimedia-Komponenten mehrere Varianten
Stufe III: Die Repräsentationsform variieren: das Objekt oder der Film selbst bleibt unverändert und nur die Repräsentationsform kann durch Handlungen verändert werden, nicht der Inhalt
Stufe IV: Den Inhalt der Komponente modifizieren: Der Benutzer kann durch Eingabe von Daten oder Variieren von Parametern innerhalb eines gesetzten Rahmens andere Darstellungen erzeugen oder andere Relationen visualisieren.
Stufe V: Das Objekt bzw. den Inhalt der Repräsentation konstruieren: Im Lernprogramm stehen Werkzeuge zur Verfügung, mit denen selbst Objekte kreiert, Ideen visualisiert oder Modelle entworfen werden können (z. Bsp. Geometrieprogramme)
Stufe VI: Den Gegenstand bzw. Inhalt der Repräsentation konstruieren und durch manipulierende Handlungen intelligente Rückmeldung vom System erhalten: Dies ist überall dort möglich, wo man in Programmen die symbolischen Inhalte auch als sinntragende Objekte modellieren kann.

Johannes Haack ist ebenfalls der Ansicht, dass Programme durch ein unterschiedliches Maß an Interaktivität gekennzeichnet sind. Lernprogramme können nach ihm bestimmten Stufen der Interaktion zugeordnet werden, je nach Anzahl an Eingriffs- und Steuermöglichkeiten für den Benutzer.
Bei den sogenannten impliziten Interaktionen ist kaum eine Interaktivität vorhanden. Der Lernende ist beim Rezipieren, Lesen, Zuhören und Anschauen von Lernstoffen rein passiv und folgt einer vorgegebenen Reihenfolge. Durch Implementierung der folgenden Merkmale kann nach Haack ein immer höheres Maß an Interaktivität erreicht werden:3

  • Zugreifen auf bestimmte Informationen, Auswählen, Umblättern
  • Ja/Nein- und Multiplechoice- Antwortmöglichkeiten und Verzweigen auf entsprechenden Zusatzinformationen
  • Markieren bestimmter Informationsteile und Aktivierung entsprechender Zusatzinformationen
  • freier Eintrag komplexer Antworten auf komplexe Fragestellungen mit intelligenten tutoriellen Feedback
  • freier ungebundener Dialog mit einem Tutor oder mit Lernpartnern mithilfe von Multimedia- und Hypermediasystemen

Interaktivität und Lernen

Der Interaktivität wird für das Lernen große Bedeutung beigemessen. Sie regt zum selbständigen Überprüfen von Vermutungen, selbstgesteuerten Erkunden von Zusammenhängen und zum aktiven Denken an. Auf diese Weise wird entdeckendes Lernen möglich und selbständiges Arbeiten gefördert. Strzebkowski und Kleeberg sehen aus diesen Gründen die Interaktivität als „eine der bedeutendsten, wenn nicht die fundamentalste Eigenschaft von didaktischen Multimediaanwendungen“. Sie sind der Ansicht, dass „sie sowohl im kognitiven als auch im motivationalen Bereich eine tiefe Wirkung hinterlässt.“.4 Haack sieht den Grund für die Wertschätzung von Interaktivität in Multimediaprogrammen und die Wichtigkeit für dessen Herstellung im dadurch geförderten individualisierten und motivierten Lernen.3 Strzebkoski und Kleeberg 4 betonen neben der Individualisierbarkeit und Motivation auch noch die Handlungsorientierung:

Individualisiertes Lernen

  • Individualisiertes Lernen findet nach Haack statt, wenn die Interaktivität eines Programms die Auswahl und die Darbietung von Lerninformationen ermöglicht, die den jeweiligen Interessen und Lernbedürfnissen des Lernenden an einer bestimmten Stelle im Lernprozess entsprechen. Essenziell sind dabei angemessene Formen des zyklischen Feedbacks, innerhalb derer in Frage, Antwort, Lösungsversuch und Korrektur in individuellem Lerntempo vorangeschritten werden kann. 3
  • Strzebkoski und Kleeberg sehen Interaktivität als eine Schlüsselkomponente des computerunterstützten Lernens, die den so wichtigen Aspekt der Individualisierbarkeit bei Lernprozessen fördert. Unter der Individualisierbarkeit von Lernprozessen verstehen sie die Freiheit der Entscheidung über die Auswahl gewünschter Information, deren Präsentationsform, die zeitliche Steuerung des Programmablaufs sowie die Form der Wissenserschließung, -anwendung und -überprüfung. 4

Motiviertes Lernen

  • Nach Haack kann motiviertes Lernen, verstanden als der aktive Einbezug der Lernenden in das Lerngeschehen, durch interaktive Techniken gefördert werden. Argumentativ strukturierte Dialoge (Argument - Gegenargument) können darüber hinaus das Problembewusstsein schärfen und das Potenzial der Denk- und Lernstrategien des Lernenden erweitern. 3
  • Strzebkoski und Kleeberg betonen, dass das computerunterstützte Lernen meistens ein individueller Vorgang ist und die Lernenden somit auf ein hohes Motivationspotenzial angewiesen sind, wenn sie die Lernmaßnahme nicht vorzeitig abbrechen oder in Teilen überspringen sollen. Entweder sind die Lernenden an dem Thema selbst stark interessiert und somit intrinsisch motiviert oder sie müssen extrinsisch motiviert werden. Gerade für die extrinsische Motivation soll Interaktivität von besonderer Bedeutung sein. 4

Handlungsorientiertes Lernen

  • Handlungsorientierung bedarf konkreter Handlungssituationen, in denen handelnd gelernt und lernend gehandelt wird, und in denen die Lernenden vor praktische Aufgaben gestellt werden, die sie praktisch lösen müssen. Sollen Handlungskompetenzen mithilfe von Lernsoftware erworben werden, so darf sich das Lernen nicht nur auf das Lesen von Texten, das Betrachten von Grafiken und Animationen, Fotos oder Videos auf dem Bildschirm oder durch auditive Information geschehen. Handlungsorientiertes Lernen verlangt nach Interaktivität, die intensive Denk- und Handlungsprozesse auslöst. 4

Literatur

1 Baumgartner, P. (1997): Evaluation vernetzten Lernens: 4 Thesen. In: Simon, H. (1999) (Hrsg.): Virtueller Campus. Forschung und Entwicklung für neues Lehren und Lernen. Münster: Waxmann, S. 131–146
2 Schulmeister, R. (2002): Taxonomie der Interaktivität von Multimedia – ein Beitrag zur aktuellen Metadaten-Diskussion. In: Informationstechnik und Technische Informatik 44, Oldenburg Verlag, S. 193-199
3 Haack, Johannes (2002) : Interaktivität als Kennzeichen von Multimedia und Hypermedia. In: Issing, Klimsa: Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, S. 127-136
4 Strzebkowski, R./Kleeberg, N. (2002): Interaktivität und Präsentation als Komponenten multimedialer Lernanwendungen. In: Issing/Klimsa (2002): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, S. 229-245