Primärliteratur zum Artikel: Hischer, Horst [2002]: Mathematikunterricht und Neue Medien. (3., durchgesehene, korrigierte und aktualisierte Auflage 2005). Hildesheim: Franzbecker, S. 246 ff.

Übersicht

Funktionenplotter sind zum Bereich der Neuen Medien gehörende digitale Werkzeuge. Ein Funktionenplotter ist ein eigenständiges Programm oder ein Plugin, das auf dem Display eines Computers einen sog. Funktionsplot als ausschnittsweise Visualisierung des Funktionsgraphen einer reellen termdefinierbaren Funktion in einem Bildschirmfenster erzeugt. Ein Funktionenplotter kann nur dann aus einer termdefinierbaren Funktion einen Funktionsplot erzeugen, wenn ihr Funktionsterm mit Hilfe der auf diesem Funktionenplotter verfügbaren Standardfunktionen bildbar ist. Die Syntax zur Eingabe eines Funktionsterms kann sich zwar zwischen verschiedenen Funktionenplottern unterscheiden, es handelt sich jedoch in der Regel um für Computerprogramme übliche Befehle und Bezeichnungen der Standardfunktionen (z. B. „sqrt“ für Quadratwurzeln, „log“ für den natürlichen Logarithmus und „exp“ für Exponentialfunktionen). Häufig kann der Benutzer den angezeigten Wertebereich angeben und interaktiv verändern sowie die Achseneinteilung bestimmen. Viele Funktionenplotter erlauben die simultane Visualisierung mehrerer Funktionen in einem Koordinatensystem und entsprechend auch die Anzeige mehrerer Repräsentanten einer Funktionenschar.

Funktionenplotter sind üblicher Bestandteil graphikfähiger Taschenrechner (GTR) und Taschencomputer (TC), und andererseits findet man sie als Beigabe zu vielen heute üblichen Computeralgebrasystemen (CAS), auch wenn sie nichts mit „Computeralgebra“ zu tun haben.

Es bleibt abzuwarten, ob Funktionenplotter im Mathematikunterricht zu einem ebenso selbstverständlichen Werkzeug werden, wie es im größten Teil des 20. Jahrhunderts noch Tafelwerke, Rechenschieber und Kurvenlineal waren. So ermöglichen Funktionenplotter im Gegensatz zu diesen klassischen Werkzeugen und Hilfsmitteln eine schnellere und flexiblere Visualisierung reeller Funktionen, Funktionseigenschaften können interaktiv und anschaulich erarbeitet werden, und mögliche Einflüsse von Konstanten (bzw. Parametern) im Funktionsterm auf Form und Lage des Funktionsplots werden visuell erfahrbar, insbesondere, wenn deren „quasi stufenlose“ Veränderung mittels Schieberegler möglich ist. Andererseits muss diese „Schnelligkeit“ der Funktionenplotter nicht automatisch ein methodischer Vorteil sein – so bleibt zu untersuchen, ob eher „Entschleu­ni­gung“ zu einer stabileren Verankerung führt. Nachteile können ferner dann entstehen, wenn nicht über die Entstehung des Graphen aus diskreten Punkten nachgedacht und dies nicht direkt offensichtlich wird. Es darf zudem nicht uneingeschränkt auf die Exaktheit der Darstellungen vertraut werden. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es sich beim Funktionsplot lediglich um eine Simulation des Funktionsgraphen handelt (siehe Funktionsplot als Simulation) und wegen des sog. Aliasings sogar falsche Funktionsplots entstehen können. Funktionenplotter sind daher auch ein Unterrichtsgegenstand im Rahmen der Integrativen Medienpädagogik.

Zur Geschichte[1]

Schon die Bezeichnung weist auf eine lange Geschichte hin: Ein „plotter“ ist im Englischen ein „Planzeichner“, der einen „plot“ liefert, und das ist die ursprüngliche Anwendung und Zielsetzung: Auf großen ebenen Tischen bewegt sich parallel zu einer Seite eine Schiene und auf dieser orthogonal dazu ein Schlitten, der einen Tuschestift hält, so dass dieser Stift wie in einem kartesischen Koordinatensystem jeden Punkt eines darunter liegenden Zeichenblattes anfahren kann. Solche Plotter konnten durch ein Computerprogramm (Anfang der 1960er Jahre vor allem in ALGOL 60 oder FORTRAN geschrieben) digital gesteuert werden, und der Zeichenstift konnte zusätzlich durch entsprechende Befehle an­gehoben und ab­ge­senkt werden. Dadurch war es möglich, beliebige zweidimensio­nale Tuschezeichnungen inklusive Beschriftung z. B. in Normschrift „quasi-analog“ anzufertigen, was insbesondere für jegli­che Baupläne sehr nützlich war. Und natürlich konnte man damit auch mathematische Kurven zeichnen lassen, was z. B. von Physikern genutzt wurde: „Kurvenschreiber“ waren u. a. in der Experimentalphysik als rein „analoge“ Systeme schon seit langem üblich und wichtig, so insbesondere als „x-y-Schreiber“ (auf rechteckig begrenztem Träger) oder als „t-y-Schreiber“ (auf „Endlospapier“ zur zeitabhängigen Datenerfassung, so z. B. in der Seismographie und früher in der Medizin beim EKG). Solche „Zeichentische“ gab es bereits seit den Anfängen der sich durchsetzenden Großcomputer um 1960 herum in großer Perfektion. Geradezu revolutionär war hier der von Konrad Zuse entwickelte 1961 vorgestellte, durch Planetengetriebe gesteuerte Zeichentisch „Graphomat Z64“, der bis zum Zeichenformat von 1,2 m x 1,4 m existierte und vierfarbige Zeichnungen (also „plots“) erstellen konnte.[2]

Mit dem Aufkommen der ersten Arbeitsplatzcomputer Ende der 1970er Jahre wuchs der Wunsch der Anwender zur Erzeugung von Funktionsgraphen mit dem eigenen System. Zwar gab es damals auch kleinere Plotter – aber aufgrund der (völlig neuen!) Verfügbarkeit indi­vidueller (Nadel-)Drucker entstanden Anfang der 1980er Jahre dann die ersten sog. Funktionen­plotter aus einer Kombination von noch sehr grober Bildschirmdarstellung und Druckern (zunächst Nadeldruckern, dann vor allem Tinten- und Laserdruckern). Die Bezeichnung „Plotter“ passte dafür eigentlich nicht mehr, weil diese „haushaltsüblichen“ Funktionenplotter keine „quasi-analogen“ Planzeichner waren. Die Ergebnisse waren einerseits für die nor­malen Anwender zunächst durchaus eindrucksvoll, denn sie kannten bis auf die eigenhändig skiz­zierten Funktions­graphen meist noch nichts anderes, und ande­rer­seits waren die Ergebnis­se schlicht miserabel – gemes­­sen an dem Qualitätsstandard, der schon rund 20 Jah­re vorher mit den „quasi-analogen“ Tuscheplottern möglich und üblich war. Während also ein Plotter ursprünglich ein analog oder digital gesteuertes materielles Gerät war, ist ein Funktionenplotter als ein Softwareprodukt nur ein virtuelles „Gerät“.

Funktionsplot als Simulation

Der von einem Funktionenplotter erzeugte Funktionsplot ist auf den ersten Blick eine „Visualisierung des Funk­tionsgraphen einer reellen termdefinierbaren Funktion in einem Bildschirmfenster“ (s. o.). Bei näherer Betrachtung erweist er sich als Visualisierung einer rechnerintern erzeugten Wertetabelle einer gegebenen Funktion. Daraus folgt sogar, dass man bei reellen Funktionen zwischen „Funktionsgraph“ und „Funktionsplot“ unterscheiden muss, weil ein Funktionsplot nur als Simulation eines Funktionsgraphen einer reellen Funktion (kurz: Simulation einer reellen Funktion) anzusehen ist:
Der Funktionsgraph einer gegebenen Funktion f ist die Menge aller geordneten Paare (x, f(x)), wobei x alle Werte aus der Definitionsmenge Df annimmt. Der Funktionsplot ist hingegen die Menge aller der von einem Funktionenplotter erzeugten Pixel (die als geordnete Paare (m, n) mit den „Koordinaten“ dieser Pixel aufzufassen sind). Damit sind aber „Funktionsgraph einer Funktion“ und „Funktionsplot einer Funktion“ im Allgemeinen streng zu unterscheiden, denn:

  • Jeder Funktionsplot besteht aus nur endlich vielen „Punkten“.
  • Ein Funktionsplot einer reellen Funktion f kann im Allgemeinen noch nicht einmal als „Teilmenge“ des (auf ein Teilintervall von Df eingeschränkten) Funktionsgraphen von f angesehen werden.

Die erste Feststellung ist trivial, die zweite bedarf einer Erläuterung. Sie gründet sich auf die bei Funktionenplottern vorliegende zweifache Diskretisierung durch eine horizontale „Abtastung“ (auch „Sampling“ genannt) und eine vertikale „Quantisierung“, wie beides analog beim Scannen von Bildern und bei der digitalen Aufzeichnung akustischer Signale vorliegt: Sowohl horizontal als auch vertikal kommen nur endlich viele äquidistante Werte für die geordneten Paare (m, n) der Pixel in Frage (s. o.). Und selbst dann, wenn die „horizontalen“ Abtaststützstellen m bestimmten originalen Argumentstellen x maßstäblich entsprechen würden (was nicht eintreten muss), so werden die vertikalen „Abtastwerte“ (die sog. „Samples“) im Allgemeinen nur maßstäbliche Approximationen der jeweiligen Funktionswerte f(x) sein können. Bernard Winkelmann spricht daher von Simulation eines Funktionsgraphen durch einen Funktionenplotter, und zwar definiert er zuvor: [3]

Simulation ist die effektive Übersetzung eines mathematischen Objekts oder Prozesses in numerische Operationen und gegebenenfalls graphische Darstellungen.

Und bezogen auf das „Funktionenplotten“ schreibt er dann:

Das mathematische Objekt ist der Graph einer Funktion, z. B. sin x für reelle x. Für die Simulation muß ich die Zahlengerade durch ein endliches Intervall ersetzen (Randbedingung), dieses Intervall durch endlich-viele Punkte darin approximieren, für diese Punkte eine Approximation des Funktionswertes berechnen, die entsprechenden Punkte durch Bildschirmpixel approximieren und diese durch Zwischenpixel verbinden.

Funktionenplotter liefern aber nicht nur „pixelige“ und ggf. „unschöne“ Funktionsplots als „Simulation“ eines Funktionsgraphen, sondern diese Funktionsplots können wegen des sog. „Aliasings“ (auch als „Stroboskopeffekt“ bekannt[4]) sogar katastrophal falsch sein, und zwar auch bei hoher Auflösung (also bei großer Abtastrate). [5]

Die „Hauptsätze für Funktionenplotter“ [6]

Wegen der beschriebenen „Simulation“ ergeben sich merkwürdige Eigenschaften. Dabei wird ausgenutzt, dass ein Funktionsplot (wie auch ein Funktionsgraph) seinerseits bereits eine Funktion ist, weil ja jedem ersten Element m des Koordinatenpaares (m, n) eindeutig ein zweites Element n zugeordnet wird. [7]

  • Erster Hauptsatz für Funktionenplotter: Jeder Funktionsplot ist stetig.

Da ein Funktionsplot nur aus endlich vielen Punkten besteht und diese Punkte also isolierte Stellen im Bildschirmfenster sind, reelle Funktionen an isolierten Stellen aber definitionsgemäß stetig sind, ist jeder Funktionsplot überall stetig. Damit können Funktionenplotter Unstetigkeitsstellen grundsätzlich nicht darstellen.

  • Zweiter Hauptsatz für Funktionenplotter: Der Funktionsplot einer periodischen Funktion ist meist falsch.

Das hängt mit dem angedeuteten Aliasing (Stroboskopeffekt) zusammen. Das „meist“ ist nicht statistisch bezüglich der Benutzer gemeint, sondern wie folgt: Will man einen Funktionsplot von x → sin(ax) erstellen, und verwendet man dazu eine stochastische Belegung von a , so ist „fast jeder“ so erzeugte Funktionsplot falsch.

Literatur

  1. Hischer, Horst [2002]: Mathematikunterricht und Neue Medien. (3., durchgesehene, korrigierte und aktualisierte Auflage 2005). Hildesheim: Franzbecker, S. 246 f.
  2. http://www.konrad-zuse.net/zuse-kg/rechner/der-graphomat-z64/seite01.html
  3. Winkelmann, Bernard [1992]: Zur Rolle des Rechnens in anwendungsorientierter Mathematik: Algebraische, numerische und geometrische (qualitative) Methoden und ihre jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen. In: Hischer, Horst (Hrsg.): Mathematikunterricht im Umbruch? Bericht über die 9. Arbeitstagung des Arbeitskreises „Mathematikunterricht und Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V. vom 27. bis 29. September 1991 in Wolfenbüttel. Bad Salzdetfurth: Franzbecker, S. 34.
  4. Winkelmann, Bernard [1992]: Zur Rolle des Rechnens in anwendungsorientierter Mathematik: Algebraische, numerische und geometrische (qualitative) Methoden und ihre jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen. In: Hischer, Horst (Hrsg.): Mathematikunterricht im Umbruch? Bericht über die 9. Arbeitstagung des Arbeitskreises „Mathematikunterricht und Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V. vom 27. bis 29. September 1991 in Wolfenbüttel. Bad Salzdetfurth: Franzbecker, S. 42.
  5. Vgl. zu all diesen Aspekten: Hischer, Horst [2002]: Mathematikunterricht und Neue Medien. (3., durchgesehene, korrigierte und aktualisierte Auflage 2005). Hildesheim: Franzbecker.
    Hischer, Horst [2004]: Treppenfunktionen und Neue Medien — medienpädagogische Aspekte. In: Weigand, Hans-Georg (Hrsg.): Funktionales Denken, Themenheft Der Mathematikunterricht, 50(2004)6, 36 – 45.
    Hischer, Horst [2005]: Aliasing und Neue Medien — Ein Beitrag zur Integrativen Medienpädagogik. In: Kaune, Christa & Schwank, Inge & Sjuts, Johann (Hrsg.): Mathematikdidaktik im Wissenschaftsgefüge — Zum Verstehen und Unterrichten mathematischen Denkens. Festschrift für Elmar Cohors-Fresenborg. Osnabrück: Schriftenreihe des FMD, Nr. 40.1, 2005, S. 115 – 129.
    Hischer, Horst [2006]: Abtast-Moiré-Phänomene als Aliasing. In: Ziegenbalg, Jochen (Hrsg.): Algorithmen, Themenheft Der Mathematikunterricht, 52(2006)1, 18 – 31.
  6. Vgl. Hischer, Horst [2002]: Mathematikunterricht und Neue Medien. (3., durchgesehene, korrigierte und aktualisierte Auflage 2005). Hildesheim: Franzbecker, S. 307 ff.
  7. Zur Interpretation von „Funktionsplot“ als „Funktion“ vgl. z. B. Hischer, Horst [2012]: Grundlegende Begriffe der Mathematik: Entstehung und Entwicklung. Struktur, Funktion, Zahl. Wiesbaden: Springer Spektrum, Kap. 4.